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Freitag, 24. Juni 2022

2666 von Roberto Bolaño - 4: Der Teil von den Verbrechen

Die internationale Literaturkritik geizt nicht mit Lob für Roberto Bolaño im Allgemeinen, und für sein 2004 posthum erschienenes Mammutwerk 2666 im Besonderen. Dankenswerterweise besteht der 1200-Seiten-Schinken aus 5 in sich abgeschlossenen Teilen, die laut letztem Willen des chilenischen Autors separat im Jahresrhytmus veröffentlicht werden sollten, - dies aber letztlich doch nicht wurden. Dennoch: nichts sollte mich daran hindern, sie genau so zu lesen. Jeden Teil als eigenständiges Buch, mit genug zeitlichem Abstand zwischen den Lektüren. Denn viel zu lange habe ich dieses gewaltige Werk ehrfürchtig umkreist und mich nicht rangetraut; diesen Zustand möchte ich ganz unbedingt beenden. Die Fraktionierung könnte mir dabei helfen.

Der Teil von den Verbrechen 

"Die Welt ist seltsam und faszinierend,dachte er."
Tatsache: Anderhalb Jahre hat es nun gedauert, bis ich das mit 400 Seiten umfangreichste Buch des Romans durch hatte! Und - im Gegensatz zu den Teilen 1, 2, und 3 war Der Teil von den Verbrechen alles andere als einen Vergnügen. Was ich aber vorher schon wusste; sieht man sich bei Booktube und Konsorten ein wenig nach 2666 um, kommt der Abschnitt selten gut weg. Das mag an seiner langatmigen Fabel liegen, die ohne nennenswerte Höhepunkte auskommt und ihr Personal nicht durchgängig verfolgt, sondern eher - anscheinend wahllos - fragmentiert und irgendwo an der Straßenecke vergißt. Oder an den zermürbenden Aufzählungen: Tote Frauen und Mädchen werden über Jahre hinweg auf Müllkippen, in Wäldern, Wüsten, Kanälen und Straßengräben gefunden. Oft vergewaltigt, manchmal nackt. Mal halb verwest, mal konserviert. Gelegentlich zeichnen sich Muster ab, wir sehen Ermittlern bei ihrer Arbeit zu, die Nachforschungen laufen ins Leere. Ein Deutscher namens Haas, ein Verdächtiger, wird verhaftet und verteidigt sich. Eine Parlamentsabgeordnete macht sich auf die Suche nach einer alten Affaire, die ebenfalls verschollen ist. Üble Witze, Tristesse, Frauenhass und Drogen. Ein Riß zwischen Mexiko und den USA, mittendrin die Grenzstadt Santa Theresa, in der all diese Frauenmorde passieren. Was bisher das Hintergrundrauschen des Romans war, wird nun sein finsteres Herzstück. Ein hartes, zermürbendes Panorama einer durch und durch entfremdeten, kaputten Gesellschaft. Nicht sehr unterhaltsam. Aber immer wieder gut; wenn man sich als lesendes Trüffelschwein durch den Morast wühlt, findet man Betrachtungen, Sätze, Beobachtungen, Szenen, die einem das Herz zerreissen. Nur witzig ist es nie.

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