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Donnerstag, 12. November 2020

2666 von Roberto Bolaño - 3: Der Teil von Fate

 Die internationale Literaturkritik geizt nicht mit Lob für Roberto Bolaño im Allgemeinen, und für sein 2004 posthum erschienenes Mammutwerk 2666 im Besonderen. Dankenswerterweise besteht der 1200-Seiten-Schinken aus 5 in sich abgeschlossenen Teilen, die laut letztem Willen des chilenischen Autors separat im Jahresrhytmus veröffentlicht werden sollten, - dies aber letztlich doch nicht wurden. Dennoch: nichts sollte mich daran hindern, sie genau so zu lesen. Jeden Teil als eigenständiges Buch, mit genug zeitlichem Abstand zwischen den Lektüren. Denn viel zu lange habe ich dieses gewaltige Werk ehrfürchtig umkreist und mich nicht rangetraut; diesen Zustand möchte ich ganz unbedingt beenden. Die Fraktionierung könnte mir dabei helfen.

Der Teil von Fate

Stilistisch schlägt der Autor zunächst einen derart anderen Sound als in den vorhergenden zwei Teilen an, daß es anmutet, als befände ich mich als Leser in einem völlig anderen Buch, geschrieben von einem völlig anderen Autor. Der wäre nicht weniger begabt als Bolaño, schlüge mich aber statt mit suggestiver Sprachgewalt mit einem flüssig und gut zu lesendem amerikanischen pageturner-Ton á la Irving oder T.C.Boyle in seinen Bann. Erzählt wird die Geschichte des Journalisten Fate aus Harlem, NY, der für eine kämpferische afroamerikanische Tageszeitung namens SCHWARZE MORGENRÖTE über politische und gesellschaftliche Themen schreibt. Jener Oliver Fate, bürgerlich Quincy Williams, wird durch den Tod seiner Mutter aus seinem Alltagtrott gerissen. Doch diese erste Begegnung mit der Vergänglichkeit ist erst das Ticket zu einer Höllenfahrt, die noch vor Tagen undenkbar gewesen wäre. Gepeinigt von plötzlichen Brechreizattacken muß Fate nach Santa Teresa in Mexiko reisen, um dort einen Kollegen aus der Sportredaktion zu vertreten, der ebenfalls überraschend verstorben ist. In Santa Teresa, dem Leser bereits bestens bekannt, findet ein Boxkampf statt: Die lokale Größe Fernadez gegen den US-Amerikaner Pickett, eher ein zweitklassiges Duell. Den sehr viel interessanteren Komplex der Frauenmorde, welche die mittelgroße Universitätsstadt seit Monaten in Atem halten, kann Fate seinem Chefredakteur nicht schmackhaft machen. Nach dem Kampf will der Journalist noch mit ein paar Zufallsbekanntschaften um die Häuser ziehen, bevor er abreist, darunter Rosa Amalfintano, ihr kleinkrimineller Liebhaber und eine Journalistin. Innerhalb einer rauschhaften Nacht lernt er die dunkle Seite Santa Teresas kennen - am Ende hilft nur noch eine panische Flucht.

Wie ein Leitmotiv zieht sich der amerikanische Rassismus durch die Erzählung. Angefangen bei der Geschichte der Sklaverei bis hin zu alltäglichen Projektionen und Vorurteilen, läßt der Autor Fate niemals vergessen, welche Hautfarbe er hat. Und auch die Morgenröte einer neuen Zeit, soviel macht  Bolaño kompromißlos klar, wird immer und immer die Menschen voneinander trennen. Wie der Autor diese große, bedrückende Menschheitserzählung mit dem kleinen Nervenkitzel von Fates kleiner Mittelamerika-Reise verbindet, wie er immer wieder den Fokus auf Nebenfiguren und ihre Leben verschiebt, wie er aus diesem Panorama von Anekdoten und Ansichten immer wieder zurückfindet und schließlich Tempo und Intensität der Geschichte hochpeitscht - das ist erneut leicht und meisterhaft erzählt. Rar. Großartig.

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