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Montag, 12. April 2021

In schlechter Gesellschaft - Der Lichtwolf No. 73 ist unterirdisch gut

Is' ja jetzt auch gut ein Jahr her, dass ich von SARSCov2-Lockdown-Langeweile gepeinigt beschloss, über alles, was ich so lese, in einem kleinen schmierigen Online-Lesetagebuch ein paar Sätzchen zu veröffentlichen. Der ein oder andere Artikel ward seither auch von anderen als nur mir selbst gelesen, 4 davon sogar kommentiert *wow-emoji*, und im Fandom der Pulpheftchenserie meines Vertrauens hat sich mein BÜCHERBUMS sogar ein gewisses Standing erarbeitet. Hätt ich im April 2020 auch noch nicht gedacht. Da mein 💓-Heftchen Maddrax - die dunkle Zukunft der Erde (💓) 14tägig erscheint, nimmt es natürlich nicht wunder, daß die diesbezügl. Einträge rund ein Drittel der insgesamt 87 in diesem Jahr gelesenen "Bücher" ausmachen. Weitere Statistiken zum Wiegenfeste: Comics 24,14% und Weiteres aus der Abteilung Phantastik/SF/Unterhaltung/Kolportage/WTF 16,09% - was im Umkehrschluss bedeutet, daß ich Sachbüchern und feuilletontauglicher Literatur, die meiner Bildung als Citoyen und meiner Charakterschulung doch weit dienlicher wäre, nur ein gutes Viertel meiner Aufmerksamkeit als Leser gewidmet habe, 24 (zumeist dünne) Druckerzeugnisse. 

Zeitschriften und Zeitungen sind in dieser Privatstatistik nicht erfasst. Allein schon weil ich außer gelegentlich mal dem OX kaum welche lese. Aktuelles und Essayistisches erreicht mich ich i.d.R. übers Netz - Alptraum der Printbranche.

Das ändert sich mit diesem Eintrag! Denn mit nur 19 Jahren Verzögerung habe ich den LICHTWOLF für mich entdeckt - laut Selbstdarstellung die "neue Moralische Quartalsschrift alter Schule für den verarmten Geistesadel", was in Einfache Sprache übersetzt soviel wie PHILOSOPHIEMAGAZIN bedeutet. Einen nämlichen Titel kennt man aus dem Zeitschriftenregal bei Kaufland, redaktionell verantwortet von Svenja Flaßpöhler und gerne einen Spontankauf wert. Die verkaufte Auflage des LICHTWOLF liegt lt. Wikipedia bei 150 Exemplaren, bestellen kann man per ISSN oder direkt beim Kleinverlag. Das Magazin atmet auf jeder Seite den Spirit, aus dem es einst als Studiprojekt an der Freiburger Uni entstand: Optisch irgendwas zwischen Schülerzeitung und Fanzine, inhaltlich ist von niederschwelligem Punk bis zum Fachartikel, die mich mehr als einmal aus der Kurve haut, alles am Start. Das eigene Philosophiestudium war Mitte der 90er und gildet ausserdem nicht, weil nach 5 Semestern abgebrochen. Doch muß ich nicht bei jedem Thema auf der Höhe des Diskurses sein, um einen unbändigen Spaß an diesem tollen Magazin zu haben. 

Jede Ausgabe des LICHTWOLF folgt einem Schwerpunktthema. Ein paar alte Hefte hab ich schon nachbestellt und quergelesen, zur druckfrischen No.73 mit dem Titel "unterirdisch" schreib ich jetzt mal was. Nahezu alle Essays im Heft beschäftigen sich mit dem, was unter unseren Füßen ist - der Moskauer U-Bahn zum Beispiel, dem Hobbykeller des Freundes, Pilzen, der Hohlwelttheorie... Ausgehend vom Höhlengleichnis, der Mutter aller Verschwörungsmythen, verquickt Michael Helmig persönliche Höhlengänge mit Platons Urerzählung, Bernhard Horwatitsch reflektiert über das Verborgene in Politik und Gesellschaft. Von ihm lerne ich auch das geile Wort "Arkankompetenz". Dank der Illustration zu Sarah Maria Lenks Artikel über das Rhizom, nämlich dem Foto von 2 Jahre alten Kartoffeln, glaube ich auch endlich mal was Poststrukturalistisches verstanden zu haben, und der etwas komplizierte, aber lohnenswerte Ausflug Osman Hajjars in die Scharia und eine islamische Volkserzählung haben mich unverhofft über einen Tellerand gucken lassen, von dem ich noch gar nicht wußte, dass es ihn gibt. Außerdem - neben zahlreichem aphoristischem Kleinkram - toll: Elisa Nowaks marxistischer Blick auf die Frage nach dem Sinn des Ganzen und die Serviceleistung "Was Rechte schreiben" - ein Blick in die Magazinlandschaft der Braunen, "damit wir es nicht selbst lesen müssen." Danke dafür! Doch was mich am LICHTWOLF über Gebühr begeistert, sind nicht nur die einzelnen Artikel, die so schön albern, ernst, fundiert und trotzdem unseriös, pubertär, erwachsen, künstlerisch und wissenschaftlich zugleich sind. Auch das ästhetische Gesamtpaket euphorisiert mich: Die Schreibmaschinenschrift, die Faust mit der Narrenkappe, der irgendwie lebensreformerisch anmutenden Schriftzug. Der Bargfeld=Bastelbogn war für mich der Lacher der Woche und eine Anregung, mal wieder was von Arno Schmidt zu lesen. Ich glaube allerdings kaum, dass das die Gewichtung zwischen Kunst und Kolportage in diesem Tagebüchlein hier ernsthaft verschieben würde. Trotzdem bin ich froh wie der Mops im Haferstroh über meine neue intellektuelle Herausfordung - einmal pro Quartal den LICHTWOLF lesen!


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