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Montag, 12. April 2021

Ich war noch niemals in Hannover

Ein paar warme Worte zu meiner soeben beendeten Lektüre von Katharina Glücks Romanerstling "Entgleist", einer Story um Heinrich´Knopp in der Midlifekrise, der es sich - nicht ohne bequemes Kissen! - auf den Schienen der nahegelegenen ICE-Trasse bequem macht, um seinem sinnlosen Leben ein Ende zu bereiten. Langweilige Ehe, langweiliger Job, nicht mal Kinder (die würden die Krise auch nicht abwenden, believe me!), blöde Freunde... man kennt das. Aber der Zug kommt nicht - eine Bombendrohung im Hannoveraner Hauptbahnhof schubst Heinrich zurück ins Leben. Auf der Suche nach dem Urheber des Fehlalarms stößt er auf ein ebenfalls in die Jahre gekommenes alternatives Wohnprojekt in der Landeshauptstadt; auf seinen Retter und dessen Hustle mit dem Leben sowie gezähmte und immer noch wilde Revolutionäre, den verführerischen Sex der Jugend und ein längst vergessenes Lebensgefühl.

Ich bin vor gut einem halben Jahr zufällig über Frau Glücks Kurzgeschichtenband Der ewige Anfang gestolpert, war recht angetan und somit voller Vorfreude auf den Roman. Glück beherrscht die kurze Form wirklich virtuos - Charaktere werden mit wenigen Sätzen plastisch und lebendig, ihre Sprache ist auf den Punkt, die kurzen Szenen skurril und reichhaltig. Eine 250-Seiten-Erzählung (ich habe das ebook gelesen) ist allerdings ein ganz anderes Kaliber von Herausforderung für eine junge Autorin. Scheiße ich jetzt mal klug. Ich hab ja weder das eine noch das andere je zustandegebracht... von daher tue ich mich mit einer kritischen Beurteilung des Gelesenen auch so schwer. Auf der Habenseite bleibt ja nach wie vor eine sehr eigene Erzählstimme und ein Buch, das interessant genug war, es nicht vor der Zeit zu beenden. Wahr ist aber auch: Erst im letzten Drittel kann der Roman mich wirklich fesseln. Zu bekannt, ja bis in die Namensgebung hinein klischeehaft sind die Figuren und ihre Konflikte: Neben Heinrich ist da noch der großspurige Angeberfreund, das Rebellensöhnchen aus gutem Hause, die alternde Möchtegernterroristin mit Alkoholproblem. Zu bildzeitungshaft kurz sind vor allem zu Beginn die Sätze, vermitteln nur Information, aber lassen kaum Atmosphäre entstehen. Zu holzschnittartig auch die Situationen, die gesellschaftliche Dimension, zahlreiche Dialoge - zu bieder zumindest, um mich mehr zu begeistern als ein ambitioniertes ZDF-Fernsehfilmchen. Das ist besonders schade, da das Talent von Katharina Glück immer mal wieder aus der Vorhersehbarkeit der Geschichte hervorblitzt: Wenn Heinrich mit Mieze schläft und dabei an seine Frau denkt zum Beispiel, oder wenn er sich - dem Wahnsinn nahe - mit einem zum Scheitern verurteilten Plan Zugang in eine Nobelvilla verschafft. Ich würde also auch ihre kommenden Bücher gerne lesen - dieses ist leider hinter meiner (vielleicht zu hohen) Erwartung zurückgeblieben.


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