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Donnerstag, 31. März 2022

Adam Hülseweh: Klunga und die Ghule von Köln

 
Illustration von Daniel Bechtold.
 

Nachkriegsarchitektur. Gerne Sichtbeton, Brutalismus – kennt gut, wer in Städten aufwuchs, die es im Krieg arg erwischt hat. Die Ruhr-Uni Bochum zum Beispiel, an der ich mich einst ein paar Semester rumgetrieben habe, ist ein wahres Schuckstück dieser Zeit. In Köln, wie ich nun gelernt habe, ist die Riphahn-Oper, nach ihrem Architekten benannt, ein solches Bauwerk. Von einigen heiß geliebt, von vielen gehasst, sollte dieser nicht wirklich pittoresk zu nennende Bau vor geraumer Zeit abgerissen und durch einen Neubau des Opernhauses ersetzt werden, was wohl billiger als eine Sanierung gekommen wäre. Mittweile haben Umbau und Begleitkosten mit einer Milliarde Euro schon das Vierfache der ursprünglich veranschlagten Summe verschlungen. Warum Köln trotzdem an der Sanierung festhält? Weil es neben der üblichen Bürgerinitiative auch andere, verborgene Kräfte im Untergrund der Stadt gibt, denen der Erhalt des Gebäudes am langsam schlagenden Herzen liegt. Sie haben gute Gründe.

Düsseldorf ist nominell zwar die Hauptstadt NRWs. Außer ein paar Schnöseln vom Niederrhein aber und den Düsseldorfern selbst mag die Medienstadt um die Kö herum eigentlich keiner so recht, und wer Düsseldorfer Boden betritt, tut dies meist nur, um von dort aus woanders hinzufliegen. Wie anders hingegen die Nachbarmetropole, die auch im fernen Ostwestfalen-Lippe noch gemocht wird, wenn auch am wenigsten ihres Bieres wegen! Die Kulturszene Kölns ist vielfältig und bodenständig, eine sichtbare Queer-Culture bildet mit dem sehr liberalen Rheinischen Katholizismus und karnevalesker Gemütlichkeit ein einzigartiges atmosphärisches Gemisch, die Sehenswürdigkeiten sind tatsächlich sehenswert und Verdamp lang her mag auch jeder. Möglich, dass der hier ansässige WDR durch die mediale Dauerpräsenz, die er seiner Heimatstadt angedeihen läßt, landesweit für diese fast amerikaneske Kulturhegemonie sorgt – aber wir wissen trotzdem längst nicht alles über die die fast 2000 Jahre alte Colonia Claudia Ara Agrippinensium. Die einst römische Kolonie war nämlich auch schon immer Hauptstadt der Ghule, jener Untoten mit dem extrem langsamen Metabolismus. Anders als bei H.P. Lovecraft oder Geisterjäger John Sinclair sind Ghule im echten Leben aber ruhige und unaufgeregte Langzeitgenossen – wären da nicht die Vampire, die in der Domstadt einst aus einem dekadenten Mithraskult hervorgeganen sind. Sie sind den Ghulen körperlich haushoch überlegen und nähren ihre Unsterblichkeit ausgerechnet von diesen so gar nicht unsympathischen Leichenfressern, die sie in dauernder Knechtschaft halten. Und ausrechnet die vom Abriss bedrohte Riphahn-Oper ist nicht nicht nur Symbol des siegreichen Widerstandes über die blutsaugenden Unterdrücker, sondern seit ihrem Bau zu Nachkriegszeiten auch ein ganz realer Grabstein, an den man besser nicht rühren sollte.

Weder bin ich ein besonderer Fan von Lokal-Romanen noch von dem Genre Urban Fantasy – außer Neil Geimans Niemalsland mochte ich noch so hundertprozentig nix, was ich unter diesem Etikett verkauft bekommen habe. Und hätte auf Klunga und die Ghule von Köln nicht der Name Adam Hülseweh gestanden, wäre dieser hübsche 350-Seiten-Roman sicher an mir vorbeigegangen. Adam Hülseweh ist ein Pseudonym, hinter dem sich Ina Elbracht gemeinsam mit dem Historiker Alexander Schmalz vebirgt. Und wie erwartet, hat Frau Elbracht in ihrem unverwechselbaren Stil einen gleichermaßen witzigen wie verrückten, bizarren und gelegentlich verstörend brutalen Roman über den Kampf der Ghule um ihre Freiheit, den Kampf der Bürger/innen um ihre Oper und den schnöseligen Tristan um seine gefühlsverwirrte Julia geschrieben. Randvoll mit reichlich Historie vom Zenturio bis Adenauer, mit Lebenswegen von Guhlen und Menschen durch die Jahrhunderte und skurrilem Personal, laufen alle Fäden bei Klunga, jenem freundlichen, etwas verschrobenen Ghul von nebenan zusammen. Und Fäden gibt es viele; so viele, dass ich wie so oft bei Geschichten von Ina Elbracht staunen muss, wie das am Ende doch noch zu einer runden Sache wird: Songtexte, Kulturwissen, Anekdötchen, Alltagsleben, handfester Horror und ironischer Witz ergeben hier einen anregenden Roman voller Leben, Menschlichkeit und Phantasie, der mich lachend und staunend zurückläßt. Illustriert hat das Buch Daniel Bechtold, dessen morbide und detailgenaue Tuschezeichnungen nicht zum ersten Mal aufs Vortrefflichste mit Ina Elbrachts Sparchlust harmonieren.

Bleibt nur noch die Frage: Hätte diese einzigartige Mischung auch in Düsseldorf funktioniert? Keine Ahnung. An der Ruhr-Uni ganz sicher. Auch dort lebt bestimmt eine Kolonie von Troglodyten unterm Beton – eine neue Lieblingsspezies in den unendlichem Weiten der Phantastischen Literatur.

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