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Donnerstag, 31. März 2022

(ausserdem im märz)

Wie ein glückliches Trüffelschwein fühle ich mich, wenn ich in irgendeiner Nische eine Autorin, einen Kleinverlag, einen Künstler oder sonst ein nettes Projekt entdeckt habe, dass mein Leben ein bisschen reicher macht. So in diesem Monat das Literaturblatt Handjob, Ausgaben 1 und 2 - nicht mehr als ein beidseitig bedrucktes A3, zum Pocketformat gefaltet - ein Medi&Zini für Lesefreaks und eine echte Alternative zum Timelinescrollen an der Bushaltestelle. Hoffentlich setzten Lina Thiede und Julia Pfeifer diese Publikation fort! Meine Lieblinge bis hierher: Die Gedichte Mannmannmannheim und Über den Kopf sowie die Short Story Abbe.

Verflucht! - das zweite von Herrn Hases Haarsträubenden Abenteuern (Lewis Trondheim) ist ein schön schräger Gegenentwurf zum LTB. Jahrzehnte zu spät von mir entdeckt, werde ich garantiert noch mehr aus der Comicreihe lesen, wie ich es mit Weissblechs Horror-Schockern regelmäßig tue. Die zu Monatsbeginn erschienene Nummer 63 hat mit der Titelstory Von Aliens entführt einen surrealen Trip im Angebot, und auch die beiden anderen Stories wissen zu gefallen.

Auch trashig, aber leider nicht so richtig geil ist der 89. Band der BASTEI Heftchenreihe Gespenster-Krimi. Minni Kromer, eine junge Autorin, gibt sich hier die Ehre - ich hätte mir den Band wohl nicht gekauft, wäre ihr Name nicht beim letzten Maddrax-Online-Stammtisch gedroppt worden. Eine Neue im Autorenteam? Eher ein Gerücht, aber sollte es so kommen, wäre sie mir natürlich aufs Herzlichste willkommen! Schreiben kann sie flüssig und gut, und wer Angst vor Klischees hat, ist beim Heftroman eh nicht richtig aufgehoben. Und so eine schöne Prämisse hatte Zahn um Zahn! Zahnwechsel im Kinderheim - wer Nachwuchs hat oder anderer Leute Nachwuchs pädagogisch betreut, weiss um die Bedeutsamheit dieser Phase im Leben eines kleinen Menschen. Stolz, Angst, Eigensinn, Selbstständigkeit, Verunsicherung, Trotz - der Zahnwechsel markiert das Ende des ersten Jahrsiebts, wie Anthroposoph/innen es recht zutreffend beschreiben. Dieses körperliche Ereignis, eine kleine Pubertät, Aufhänger für eine gute Horrorstory sein zu lassen: Eine tolle Idee von Minnie Kromer! Das Ding fängt auch locker und unterhaltsam an, bietet zunächst mit einem Veganrestaurant einen humorträchtigen Schauplatz und sympathisches Personal auf, versandet dann aber in einer recht belanglosen Geister-und- Besessenheitsgeschichte. Schade - das maximal geschmacklose Cover aber wurde vom Larry-Brent-Heft Atomgespenster (Nr.106) recycelt und ist denn doch ein versöhnender Bad-Taste-Höhepunkt.

Kein Bad Taste, sondern so richtig Literaturliteratur und trotzdem gut: Die Anomalie von Hervè Tellier. Ein Interkontinentalflug landet am JFK. Das Flugzeug hat unterwegs heftige Turbulenzen durchgemacht. Monate später landet es erneut: Derselbe Flieger, dieselben Passagiere. Alle sind sie nun doppelt: Die schwangere Anwältin, der Killer, der Popstar ... Ein Fall für den Geheimdienst, das FBI und das streng geheime Protokoll 42, das eigentlich nur als Nerd-Scherz von Wissenschaftler/innen gemeint war. Telliér spielt mit Motiven der Spannungs- und Trivialliteratur und überführt sie in ein seltsames Gesellschaftspanorama: Ich bin doppelt. Was fange ichbloß mit mir an? Dazu eine extrem lesenswerte Spekulation über Realität und Simulation und, was das Beste ist: Der Autor ist sich nicht zu fein, eine tatsächlich spannende Story zu plotten. Jetzt schon ein Höhepunkt des Lesejahres 2022, da bin ich mir sicher.

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