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Montag, 17. August 2020

Reise in 123 Seiten um einen Romanstoff

 Auf eine persönliche Empfehlung hin habe ich mir Philip José Farmers "Das echte Log des Phileas Fogg" antiquarisch besorgt. Die Taschenbuchausgabe von Heyne erschien ein Jahr vor meiner Geburt (ist also ebenso wie ich nicht mehr ganz taufrisch) und hat sich damals offenbar recht gut verkauft, denn bei Booklooker und Co ist das Schätzken bereits für unter 1 Euro zu bekommen und somit wohl nicht gerade eine Rarität. Das Klimpergeld ist denn auch halbwegs solide angelegt, denn die Prämisse ist nicht unoriginell, und der Roman liest sich zum Teil recht amüsant. Was das literarische Erleuchtungspotential angeht, ist die Anlage jedoch eher ein biederes Sparkassenbuch denn eine High-Risk-Option, die schlußendlich so richtig durch die Decke ballert. 

Vor allem Leser*innen, die das Original von Jules Verne kennen oder zumindest den schönen und sehr vorlagegetreuen TV-Vierteiler mit Pierce Brosnan, Eric Idle und Sir Peter Ustinov, dürften ihren Spaß haben an Farmers - tja, was ist es nun? Ein Scherz? Ein Kommentar?

Philip Farmer hat mit Phileas Fogg die Initialen gemein und mit Jules Verne, daß er zeitlebens zwar ein populärer Science-Fiction-Autor war, ihm die ersehnte Anerkennung als "seriöser" Schriftsteller jedoch verwehrt blieb. So soll es laut Wikipedia wohl abseits seiner Spannungsromane auch ein paar literarische Versuche geben, die aber kaum Beachtung fanden. Erfolgreich hingegen war sein Flußwelt-Zyklus, außerdem machte er durch für die Szene ungewöhnlich erotische Plots auf sich aufmerksam.

"Das echte Log..." ist nun aber nicht besonders erotisch, und übermäßig spannend ist es ehrlich gesagt ebenfalls nicht. Dabei gibt die Grundidee des Romans einiges her. Auch liest sich die ein oder andere Sequenz ganz flüssig, ehe das Buch wieder in Belanglosigkeiten versinkt. Farmer spürt in Vernes legendärer Abenteuergeschichte Logiklöcher aller Art auf. Warum dauert der Weg von seinem Zuhause zum Club solange? Warum serviert der Diener den Tee exakt 1 Grad zu kalt, obwohl er wissen muß, daß das zu seiner Entlassung führt? Kleinere und größere Unstimmigkeiten dieses Kalibers finden sich in dem Reisebericht zahlreich, und Farmer beginnt eine SF-Geschichte zu konstruieren, die verborgen hinter der bekannten Erzählung steht und den eigentlichen Eisberg darstellt, von dem wir bisher nur die Spitze gesehen hatten: So gehören Fogg und sein neuer Diener Passepartout eigentlich der außerirdischen Rasse der Eridianer an, die sich mit den ebenfalls als Menschen getarnten Capellanern im Krieg befinden. Zu diesen gehören nicht nur Detektiv Fix und der Radscha, dessen Witwe Aouda Fogg  bekanntlich vor der Verbrennung rettet - auch Kapitän Nemo und James Moreatti sind als capellanische Gegenspieler an der Jagd auf eines der zwei letzten Exemplare des Distorters beteiligt, was Jules Verne aber nicht wissen konnte und somit dem Leser verschwieg. Ein Distorter ist übrigens eine überlegene Transporttechnologie der auf dem blauen Planeten gestrandeteten Aliens, die mit irdischen Mitteln nicht nachgebaut werden kann

Farmers Konstruktion macht immer dann Spaß, wenn er sich in Betrachtungen über Jules Vernes Ausgangstext ergeht: Das Whist-Spiel im Club, durch das Fogg verschlüsselt seinen Auftrag erhält, oder die launige Analyse der logischen Fehler. Auch der besagte Radscha wird überhaupt erst durch Fogg und den gemieteten Elefanten getötet. An diesen Stellen liest sich der Roman wie eine gute Sachtext-Parodie. Die Erzählung selbst verliert sich aber über die Gesamtstrecke in unspiriertem Klein-Klein, das das Lesen des an sich schmalen Bändchens manchmal zu einem sehr qualvollen Unterfangen werden läßt. Warum war Farmer nicht mutiger, hat sich nicht in kühnere Spekulationen verstiegen? So liegt die Vernsche Geschichte wie eine lästige Pflicht auf der Fabulierlust des Autors, an der er sich allzu brav entlanghangelt. Und daß Farmer den latenten Rassismus, der (meinetwegen zeitbedingt) in Reise in 80 Tagen um die Welt  steckt, zwar in Bezug auf die Iren, Engländer und Franzosen kritisiert, in Bezug auf die Inder und Native Americans aber nicht, sollte als Randnotiz auch nicht unbemerkt bleiben.

Immerhin steht am Ende die Einsicht, daß die Capellaner und Eridianer, wenn sie nicht endlich Frieden schließen, kein Stück besser sind als die Erdlinge, die sie so sehr verachten. Und da ist Philip José Farmer in der frühen 1970ern, ebenso wie Jules Verne hundert Jahre zuvor, ein Kind seiner Zeit.

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