Dieses Blog durchsuchen

Montag, 19. September 2022

MX 591 – Schlafende Steine wecken ...

Wie eine Perle zwischen Austernschalen, oder, etwas bodenständiger, das Tofupatty zwischen seinen Brötchenhälften, präsentiert BASTEI eine grandiose MADDRAX-Folge; ein wenig eingeklemmt von zwei epischen Zweiteilern, von denen der bereits erschienene den Kampf der Menschheit um den Flächenräumer, der bald kommende das Schicksal des Neo-Bararen Rulfan auf einer von Daa'muuren beherrschten Parallelerde erzählt. Doch Christian Schwarz' Serienbeitrag braucht sich hinter soviel Bombast nicht zu verstecken, zumal auch in Nachbeben großes Besteck zum Einsatz kommt. Ein politisches Ringen zwischen Wahrhaftigkeit und der Aufrechterhaltung des Status Quo hat apokalyptische Folgen für Cancriss, den Heimatplaneten der Pancinowa – aus jeder Pore der Heftromanserie kann man den Showdown schon riechen, der zum Jahreswechsel den Zyklus beschließen wird. Für die dann folgendende Nummer 600 hat Redakteur Michael Schönenbröcher aka Mad Mike einige Veränderungen angekündigt; da gilt es also nun, eine Vielzahl von Handlungsfäden zu einem schlüssigen Ende zu führen. Kein Wunder, dass sich da der Blick auf die kosmischen Zusammenhänge weitet, und dass sich das Ergebnis dann eher wie Blockbuster-Kino denn wie Bahnhofsliteratur liest, gefällt mir außerordentlich.

Bereits seit Jahrhunderten halten die Pacinowa einen Oqualun, will heißen eine Art intelligenten Asteroid, gefangen. Die Energie, die sie ihm stehlen, garantiert einen gigantischen Wohlstand und ein technisches Niveau, das schlicht atemberaubend ist. Von Präsidentschaft zu Präsidentschaft wird das Staatsgeheimnis streng gehütet, denn der ethische Preis ist enorm: Nicht nur werden die Arbeitenden, die den High-Voltage-Klops bewirtschaften, als vermeidliche „Auswerwählte“ in Unwissenheit und Isolation gehalten; auch der Wandler selbst erlebt, in einen tranceartigen Zustand versetzt, eine alptraumhafte Dauerschleife. Angst macht halt ergiebig. Eine gesellschaftliche Bewegung, die endlich Aufklärung über die alten Gerüchte vom „Gott im Eis“ fordert und akribisch Indizien sammelt, wird als Verschwörungstheoretiker diffamiert. Ihnen nahe steht das Ratsmitglied Dibanjo, das seine Chance gekommen sieht, den konservativen Präsidenten Lepmurt abzulösen. Als ein sensationeller Museumsfund (eine klasse Szene!) den Verdacht erhärtet, dass die pancinowische Geschichte umgeschrieben werden muss, stehen sich zwei Machthungrige gegenüber, von denen keiner sonderlich sympathsich ist. Barbarin Eileen, die mit einem telepathischen Sinn begabt ist, begleitet Dibanjo bei seiner Nordpolexpedition, um Kommunikation mit der versklavten Entität herzustellen. Doch sie erfährt nicht nur die Geschichte des Steins, sie offenbart diesem auch die Wahrheit über seine Lage – der Asteroid will Rache....

Diese spannende Prämisse gipfelt nicht nur in einem atemberaubenden Finale, sondern spiegelt auch eine brisante gesellschaftliche Frage: Der Eine wahrt Wohlstand und Frieden in einer Gesellschaft um den Preis von Ausbeutung und Verschleierung. Der Andere fordert Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit, setzt dabei aber in einer bestürzenden Mischung aus Machthunger und Naivität das Überleben einer ganzen Zivilisation aufs Spiel. Diese fiktionale Zuspitzung aktueller Debatten angesichts der derzeitigen multiplen Krisen ist äußerst gelungen. Zusammen mit Christian Schwarz' meisterhaftem Erzählton ist „Nachbeben“ ein wahrer Höhepunkt des aktuellen Zyklus.

Viel Weltraum-Oper, interstellare Erzähllinien, kosmischen Entitäten, Fremdwelten, Aliens, weite Wege durch Zeit und Raum: Im Fandom wird zur Zeit vermehrt diskutiert, ob eigentlich noch „typisch Maddrax“ ist. Im Moment sei die Reihe, so lauten einige Stimmen, mehr Perry Rhodan als Perry Rhodan selbst. Andere weisen zu Recht darauf hin, dass eine Romanserie sich über einen Zeitraum von fast 23 Jahren natürlich verändern muss. Entspringt die Sehnsucht vieler Leser☄innen (ich schließe mich selbst da ein) nach waghalsigen Ritten auf Frekkeuschern, Lischettenpampe im Mutantenschungel und dem immer wieder staunenden Blick, was aus unserer schönen Erde 500 Jahre nach dem Asteroideneinschlag für ein bizarrer Wisaau-Haufen geworden ist, bloß einem nostalgischen Reflex, der, käme das Autorenteam ihm tatsächlich nach, eher für Gähnen als Spannung sorgen würde? Das größte Pfund von Maddrax, finde ich nach einigem Nachdenken über diese Frage, ist und bleibt jedenfalls der Humor und die Experimentierlust der Serie. Ohne diese Komponente wäre ich sicher nicht so lange dabeigebelieben. Daher ist das Typischte an MX vielleicht: Die Überraschung. Der Genremix garantiert eine nimmerleere Wundertüte, und wenn sich die Gewichtung mal von Low Fantasy und Horror (mag ich sehr) zu Military Action und Weltraumspektakel (weniger mein Ding, dafür aber vielleicht die Leidenschaft anderer … ) verschiebt, ist das absolut okay. Wichtig ist vielmehr, dass ich nie genau wissen kann, was mich im nächsten oder übernächsten Heft erwartet. Und nicht jeder erzählerische Versuch, jeder Plot, jede Wendung muss dabei gelingen, das ist auch ganz wichtig. Lieber mutig danebenhauen, als pflichtschuldig dem Schema F folgen. Oder, wie ein weiser Mann mal sagte: Wer dem Publikum nachläuft, sieht ohnehin nur seinen Arsch.


[Dieser Artikel wird in leicht veränderter Form auch zeitnah auf phantastik-news.de erscheinen.]



1 Kommentar:

  1. Volle Zustimmung! Der Roman hat mir auch sehr gut gefallen, am meisten gefällt mir daran aber auch, dass es nun einen interstellaren Schauplatz weniger gibt. Das hätte man natürlich auch einfacher haben können, aber so ist es natürlich auch klasse geworden. Ich war bisher kein Fan von Cancriss - jetzt bin ich es. ;-)

    Zitat aus deiner Rezi: "Der Genremix garantiert eine nimmerleere Wundertüte, und wenn sich die Gewichtung mal von Low Fantasy und Horror (mag ich sehr) zu Military Action und Weltraumspektakel (weniger mein Ding, dafür aber vielleicht die Leidenschaft anderer … ) verschiebt, ist das absolut okay."
    Auch hier kann ich nur zustimmen. Die Frage ist für mich vielmehr: Ist die Mischung noch ausgewogen? Aus meiner Sicht eher nicht. Maddrax wurde in einem schleichenden Prozess seit Band 400 zu einer Space Opera. Klar, ex gibt schon noch Romane mit dem alten Maddrax Feeling, aber diese kann ich pro Zyklus an 1-2 Händen abzählen. Für meinen Geschmack zu wenig. Leider.

    AntwortenLöschen