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Mittwoch, 19. Oktober 2022

Theaterdebatte: Relaunch in s/w?

 Ach, kenn ich doch alles. In meinem Beruf als Theaterschaffender bin ich schon immer mit der Frage "Warum Theater?" konfrontiert - mal konkret als Kürzungs- oder Schließungsvorhaben der Stadt, in der ich gerade beschäftigt bin, mal ganz allgemein mit Diskussionen bei Familientreffen, im Sportverein, am Kneipentisch. Bei einer Kita stellt sich die Frage halt nicht. Da weiß jeder, wozu wir sie brauchen. Aber brauchen wir auch Theater? Zumal ein professionelles, das mehr kostet, als es je einspielen kann? 

Im deutschsprachigen Raum sind es die großen Musicalbühnen oder kleine Privat- und Tourneetheater, die gänzlich ohne staatliche Zuschüsse auskommen. Im Verbund mit oft prekären Arbeitsbedingungen und massentauglichem Programm gelingt das vielen schon irgendwie. Vielen aber auch nicht. Und willste eher künstlerisches, gesellschaftlich relevantes (was auch immer das sein mag), gar experimentelles Theater auf die Bühne (oder Außenspielstätte) zaubern, geht es ohne Finanzspritzen nicht. Im deutschsprachigen Raum übernehmen das in der Regel Bund, Länder und Gemeinden - anderswo finanzieren sich künstlerisch ambitionierte Vorhaben durch Crowdfunding, Mäzene, Selbstausbeutung und Gastronomiejobs. 

Und immer wieder die Frage: Wenn das doch eh keiner mehr sehen will? Wenn der Theaterbesuch kein gesellschaftliches Ereignis ist, sondern nur noch einer akademisch versierten Bubble als Distinktionsmerkmal dient? Ist es dann sein Geld noch wert? - Wie unterschiedlich auch immer diese Frage beantwortet werden mag - als Arbeiterkind bin ich immer etwas genervt, wenn es heißt, die Schaubühne sei eh nur (noch) ein Sekt- und Häppchen- Vergnügen für eine aussterbende Bildungselite. Mich jedenfalls hat der/das Theatervirus schon früh erwischt. Theater ist mein Lebensinhalt, ohne Wenn und Aber. Ich kann ein kommerziell erfolgreiches Musical ebenso feiern wie eine 7stündige nervige Klassikerdekonstruktion mit 10 Kilo Foucaultzitaten. Das unverständlicheTanz- und Multimedia-Experiment ebenso wie die krachende Pupswitzkomödie. Wenn ... ja wenn was? Wenn die Qualität stimmt. Und die Attitude. Q+A. Wie aber das objektivieren? Wie das dem Skeptiker vermitteln? Das Theater ist in einer Krise. Und der kritischen Ausleuchtung des eigenen Schaffens muss man sich stellen, so der Kulturjournalist Jakob Hayner in seinem Bändchen "Warum Theater?", das 2020 bei Matthes und Seitz erschienen ist. Und das mir angesichts einer erregten Diskussion, wie politisch wir sein müssen, und was politisches Theater überhaupt ist, und ob das nicht eh alles preaching to the converted sei, ans Herz gelegt wurde. Jetzt habe ich es gelesen. 

Hayner meint es gut, dennoch werde ich mit seinem Text nicht so wirklich warm. Wie immer bei mit allen Wassern der Theorie gewaschenen Marxisten, ist schon das Namedropping öde. Adorno, Marx, Benjamin, Zizek. Dazu der ewig gleiche Sermon vom Neoliberalismus, der ja so scheiße ist. Ja, ist er, nicht dass wir uns falsch verstehen. Die Ökonomisierung unseres Denkens, unserer intimsten Lebensbereiche. Ja, seh ich ähnlich. All die Depression, die Warenförmigkeit, die Ausbeutung, die Oberflächen. Laberlaber. Auch wenn Hayner grundsätzlich in die richtige Richtung stößt. Das Spiel, die Lust an der Verstellung, am Exemplarischen, die Mimesis sind die ursprünglichen und entscheidenden Triebkräfte der Bühnenkunst. Und nur sie können und werden das Theater auch zukünftig legitimieren. Der Weltentwurf. Die Welt als Bühne, wo das Unsagbare einfach ausprobiert werden kann. Spielerisch, vor und mit dem Publikum. 

Damit positioniert sich Hayner deutlich gegen das Performative a la Ambramovic, das gerade so en vogue ist und die Begleitmusik zur aktuellen, x-ten Krise des Theaters der Gegenwart spielt. Da rennt er einerseits bei mir durchaus offene Türen ein, denn allzuviel Stuss musste ich da schon erleben, zuviel nervige und fruchtlose Debatten über Identität, Authenzität und Postdramatik führen, zuviel gut gemeinte, aber schlecht gemachte Studi-Amateur-Kacke aushalten. Interessant, aber für nen Marxisten auch nicht allzu überrschend ist die ausführliche Argumentation, das (verhaßte) Performance- und Diskurstheater sei in seiner Rückwärtsgewandtheit die gleiche Sauce wie Hippiekunst-Happenings und die Kulturtheorie der (geliebten) Romantik. Welche Theatermacher (Gendern in diesem Falle unnötig) bringt Hayner aber dagegen in Stellung? Brecht und Becket. Dazu Theorie Theorie Theorie. Nicht mal Dario Fo hat er aufm Schirm, der es doch seinerzeit verstand, all diese politischen Ansätze in ein lebenspralles, anarchisches, unverkopftes Volkstheater zu überführen. Aber auch das ist schon lange her. Alle Fotos von dem Theater dieser Zeit sind noch schwarz-weiß. Und damit sollen wir fit und - vor allem - unentbehrlich für die Zukunft werden? Weiß nich.

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