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Freitag, 4. Dezember 2020

Scheitern Und Verstehen ...

... lautet der Titel eines Albums einer recht bekannten Punkkapelle mit beknacktem Namen, deren Herz zwar politisch und menschlich an der richtigen Stelle schlägt, mit der ich musikalisch trotz wiederholter Versuche aber nicht recht warm werden will. Doch er bringt perfekt das Feeling zweier Taschenbücher unter einen Hut, die ich gestern gleichzeitig zuende gelesen habe und die unterschiedlicher nicht sein könnten: Den Punkroman SCHEITERNHAUFEN von Jonny Bauer (Salon Alter Hammer 2017) und Vol.1 des Ami-Teen-Splatter-Comics SOMETHING IS KILLING THE CHILDREN (englischsprachige Originalausgabe 2020 bei BOOM!Studios)

Letztgenanntes Druckerzeugnis ist momentan ziemlich heißer Scheiß in der Comicszene, die deutsche Übersetzung ist ebenfalls jüngst bei Splitter erschienen. Allerdings ist dort Band 2 noch nicht einmal angekündigt, im Original läßt sich die Serie schon weiterlesen - da fiel die Kaufentscheidung leicht. SIKTC Vol 1 enthält die ersten 5 Einzelhefte (September 2019 bis Januar 2020) einer aus dem Stand enorm erfolgreichen Teen-Horror-Serie des namhaften, aber noch recht jungen Verlags BOOM!. Das Cover der Zweitauflage ist bereits mit einem Hinweis auf die Eisner-Award-Nominierung 2020 verunstaltet, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn die Filmrechte auf die Story um die coole Monsterjägerin Erica Slaughter nicht schon sehr bald über den Verhandlungstisch an Netflix, Apple, Sony oder sonst einen großen Player gehen würden. Logo, daß das martialische Gesichtstuch der Heldin schon als Corona-Mundnasenschutz zu kaufen ist - schon Band 2 faßt die Hefte zusammen, die bereits in Coronazeiten erschienen sind.

    Teen Horror also. Das Feuilleton hebt die klischeefreie Figurenzeichnung hervor. Ich frage mich ernsthaft, warum. Weil ein PoC-Schuldirektor öffentlich Zweifel eingesteht und ein gemobbter Schüler homosexuell ist? Wenn das schon reicht... Erica jedenfalls ist so etwas wie ein maulfaules Pedant zu Buffy - genauso hüsch, genauso cool. Etwas mehr Gerald-von-Riva-Markigkeit umgibt die trainierte Emo-Blondine. Andeutungen auf einen verborgenen Zirkel von Monsterjägern und ein geisterhafter Freund, versteckt in einem abgegriffenen Stofftier plus die abgekaute Mär, daß halt nur Kinder die Monster in den Wäldern sehen können... zum Gähnen eigentlich. Wenn nicht - ja wenn SIKTC nicht so unfaßbar geil gezeichnet wäre. Mit groben Strichen, manchmal beinahe hingerotzt wirkenden Skizzen erzeugt Zeichner Werther Dell'edera eine atmosphärische Tiefe, die wirklich wirklich Lust macht auf den Folgeband, der definitiv auf meinem Weihnachtswunschzettel steht. Rough und traurig. 

   Wie die Ramones. Was für ein Übergang. Scheiternhaufen allerdings sieht nicht nur independent aus, sondern hat mit Salon Alter Hammer aus Duisburch auch einen Verlag/Label hinter sich, der tatsächlich ziemlich kredibil ist. Und weil ich dieses - ja, tatsächlich - Meisterstück von Jonny Bauer nicht besser zusammenfassen könnte, als der Buchrücken es tut, hier das Zitat: "Buenos Aires, 1996: Die Ramones spielen vor 60.000 Fans eines ihrer letzten Konzerte. Deutsche Provinz, 2008: Eine Ramones-Imitationsband, in Badelatschen auf Psychopharmaka, bricht auf, um auf den Spuren der wahren Ramones Argentinien zu erobern. Mit dabei: Ein Filmteam, begeistert von der Idee des Wahnsinns und in der Überzeugung, dass nichts schiefgehen kann. Selbst Paul, zweifelnder Optimist, glaubt an die gemeinsame Sache, irgendwie." Natürlich geht alles mögliche schief. Im Grunde endet die Mission, die Ramones am Ort eines ihrer größten Triumphe wiederaufleben zu lassen, in einem Kaleidoskop von großen und kleinen Katastrophen, von denen der finanzielle Ruin der Beteiligten und ein brennender Club nur zwei sind. Ich habe für dieses schicke Buch (tolles Cover!) etwas länger gebraucht, denn die kurzen, anekdotenhaften Kapitel haben sich hervorragend geeignet, an Bushaltestellen, während Arbeitspausen und sonstigen Wartesituationen meine Zeit mit was Gescheitem anzufüllen und nicht aufs Smartphone zu glotzen. Der Freundeskreis um Paul und Kleingeld und die begleitete Ramones-Coverband aus Münster machen schließlich nichts anderes - etwas Sinnhaftes tun. Oder etwas, das sich sinnhaft genug anfühlt, um gelegentliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit ignorieren zu können. Das Sinnhafte hat keinen wirtschaftlichen Nutzen, im Gegenteil. Das Sinnhafte muß nicht gelingen. Es muß aber auch nicht alles scheitern, was zum Scheitern verurteilt scheint. Das mit der Liebe zu Gisele klappt irgendwie, und Markys Beerdigung ist dann doch noch eine echt gelungene Party. Daß sich Jonny Bauer nicht darin erschöpft, bloß witzig zu sein, um am Ende dann sentimental werden zu dürfen, unterscheidet Scheiternhaufen von vielen vergleichbaren Publikationen. Er trifft durchgehend einen lakonischen, grundehrlichen, trotzdem selbstironischen Ton, der mich ohne Ausnahme erreicht. Geil.



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