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Mittwoch, 30. Juni 2021

MX559 - Neues aus dem Gen-Baukasten

In einem verborgenen Höhlensystem unter Karl Mays Silbersee befindet sich der Zugang zu einer Ader aus Silbererz, die munter von Old Firehand abgebaut werden kann, wenn am Ende des Romans die Schurken besiegt und die Besitzverhältnisse geklärt sind. Das umkämpfte Gewässer befindet sich in der Salzwüste Utahs, das erst vor wenigen Ausgaben Schauplatz meiner Lieblingserie war, das Buch Koolob nämlich von Simon Borner. Für den Schatz im Kratersee, den aktuellen Maddrax-Beitrag von Christian Schwarz, verschlägt es Drax, Aruula sowie die Daa'muren Grao und Ira aber ins postapokalyptische Sibirien – hier hat der Komet Christopher Floyd nach seinem Einschlag im Jahre 2012 ein gigantisches Meer geschaffen, das von einem Ringgebirge umgeben und von tropischer Flora und Fauna geprägt ist. Der Himmelskörper war in Wahrheit eine Alien-Arche, ihrerseits verfolgt vom Streiter, einer weiteren kosmischen Entität, und seine ausgehende CF-Strahlung sorgt auf der Erde für allerlei wunderliche Mutationen... So weit, so bekannt. Zumindest regelmäßigen Leserinnen und Lesern der Reihe. Denn so gelungen Der Schatz im Kratersee auch ist, setzt er doch einiges Wissen zum Serienuniversum voraus und kann kaum als einsteigerfreundlich bezeichnet werden. Der titelgebende Schatz, eine erkleckliche Menge Daa'murenkristalle, befindet sich wie bei Karl in einem Höhlensystem, doch damit endet schon die Parallelität zu dem 1891 erschienenen Abenteuerroman. Wenn es Anspielungen gibt, sind sie für Feinschmecker und profunde Kenner des Silbersees.

Das tut dem Lesevergnügen aber keinen Abbruch. Schwarz bedient sich des bewährtesten aller Maddrax-Rezepte und zeigt in zwei abwechselnden Zeitebenen, wie es in der Vergangenheit zu der grotesken Situation kam, mit der die Protagonist/innen in der Gegenwart konfrontiert werden. Als Grosszarin Nadeschda, Leiterin einer Bunkergemeinschaft im postapokalytischen Novosibirsk, eingefrorenens genetisches Material aus der Zeit vor der Katastophe entdeckt, wittert sie die Chance, Lebenserwartung und Gesundheit der immunschwachen Community zu verbessern und ausserdem noch ein paar Superkrieger (Donkosaken sollen sie heißen) zu züchten. Doch sie läßt sich auf ein gefährliches Spiel mit dem Wahnsinn ein, setzt sich selbstherrlich über über die Statuten der russischen Bunkerliga hinweg und kreiert schliesslich im Selbstversuch – wie könnte es anders sein – eine Monströsität der besonderen Art.

Versiert und stilsicher erzählt Christian Schwarz diese Metamorphose und ihre Wirkung im Serien-Jetzt, überrascht mit einigen Wendungen und verlässt sich im Übrigen völlig auf die Strahlkraft seiner exzentrischen, berechnenden und (natürlich) erotischen Antagonistin. Und obwohl die Grosszarin ein wandelndes Romanheft-Stereotyp ist, kommt die Episode nicht allzu trashig, eher augenzwinkernd daher. Ein paar Seiten mehr hätten der Erzählung zwar gut getan, denn die ein oder andere Szene hätte durchaus das Potential gehabt, ausführlicher ausformuliert zu werden. Das ist halt dem Format geschuldet und geht absolut in Ordnung – unterm Strich stimmen Story, Spannung, Sprache und Humor.


[Dieser Artikel wird in leicht veränderter Form auch zeitnah auf phantastik-news.de erscheinen.]









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