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Dienstag, 6. April 2021

Antigone

Antigone ist zeitlos gut. Die existentialistische Bearbeitung von Jean Anouilh ist mir etwas vertrauter, da erschien es mir aus aktuellem Anlass an der Zeit, 20 Jahre nach meinem Studium das Original des Superstars unter den antiken Tragödiendichtern Σοφοκλῆς nochmal neu zu lesen. 

Aktueller Anlass meint: Die staatliche Autorität, hier Kreon, erläßt eine durchaus gut begründete Verfügung, gegen die sich eine Dissidentin, ebenfalls aus guten Gründen, auflehnt. Antigones Widerstand gegen den Erlass, ihren Bruder nicht zu bestatten und stattdessen seinen Leichnam vor den Toren Thebens den Vögeln und Hunden zum Fraß zu überantworten, artikuliert sich nicht durch offenen Protest, sondern durch die Propaganda der Tat: Sie bestattet ihn einfach da, wo er liegt, vollzieht notdürftig das Ritual, das seine Seele befriedet in den Hades ziehen läßt, und nimmt ihre Entdeckung und Bestrafung auf sich. Doch Polineikes, so sein Name, war ein Frevler. Er hat höchstselbst seinen (und also auch Antigones) Bruder Eteokles im Kampf um den Stadtstaat hingemetztelt, weil der sich nicht mehr an eine Verabredung halten wollte: Nämlich als Ödipus' Thronfolger die Macht zu teilen. Jetzt sind beide Männer (natürlich...) tot, und Kreon muss also als Vize in die Bresche springen. Der ist kaum an der Macht, auf die er ohnehin niemals so richtig scharf war, und muß sich gleich mit der renitenten Exprinzessin über menschliches vs göttliches Recht auseinandersetzen. Die Prophezeihung des blinden Sehers Theiresias, durch Kreons unhygienischen Erlass werde eine Seuche die Stadt heimsuchen, entspannt die Lage nicht gerade - zumal sie sich zu bewahrheiten scheint. Gegen die Natur gehts nunmal nicht, das ist soweit die Moral von der Geschicht, die viele starke Dialoge und zitierfähige Sätze im Gepäck hat.

In pandemischen Lockdown-Zeiten drängt sich die Lektüre ziemlich auf, und so manches Stadttheater hätte das Stück auch auf dem Spielplan, wenn es denn öffentlich gezeigt werden dürfte. Derweil streiten sich vor dem Hintergrund eines zermürbenden Infektionsgeschehens die Vertreter/innen eher freiheitlich-liberaler Seuchenbekämpfungskonzepte gegen solche vom Team Harter Hund Söder/Drosten/Merkel um den richtigen und effektivsten Weg raus der Epidemie, technokratische gegen holistische Welt-, Gesundheits- und Menschenbilder, Coronaverharmloser gegen Kollateralschädenverhamloser und dazwischen immer noch das Gekrähe rechtsdrehender Querdenker und die Sehnsuchtsmelodie nach kapitalistischem Normalvollzug mit Mallorcaurlaub und Shoppingtag. Das Wissen, dass wir (die wohlstandsverwahrlost-globalisierte High-Consume-Welt) uns den ganzen Scheiß selbst eingebrockt haben, will dabei kaum einer so recht wahrhaben. Und alle diese Positionen, Dilemmata, Argumente finden sich auch bei Sophokles, durchdekliniert bis zum bitteren Ende dieser Geschichte. Überall weiß er Rat, der Mensch nämlich, ratlos trifft ihn nicht / Zukünftiges; vor dem Tode nur / späht er kein Entrinnen aus. Du kannst nicht gegen die Welle surfen, Mensch. Das Leben findet seinen Weg, das Virus leider auch. Doch für die Seuchen schwerste Not / fand er Heilung. Na immerhin.

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