Sie sind mitten unter uns, aber keiner merkt es. Wir, das heißt in diesem Fall: Wir Einwohner/innen von NYC. Und sie sind die Gestalten, die seit eh und je unsere dunkle Phantasie beflügeln. Sowie die Phantasie des Films, denn Alan Moores Comicreihe Cinema Purgatorio ist ja vor allem eine Hommage ans Genrekino: Vampire, Zombies, Werwölfe, Tentakelmonster und Seelen, die keine Ruhe finden. Freaks also im Halloweenkostüm, denkt da der Alltagsmensch in Brooklyn und Manhattan, wenn er sich überhaupt noch was denkt angesichts der schieren Menge merkwürdiger Gestalten in U-Bahnen und Häuserschluchten. Nur wer täglich mit ihnen zu tun bekommt, ist eingeweiht, doch zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Polizei beispielsweise, oder - und hier nähern wir uns der Prämisse von Code Pru - die Rettungssanitäter/innen, die sich beispielsweise um suizidgefährdete Vamire kümmern müssen, die sich in ihrer Verzweiflung dem Sonnenlicht aussetzen oder mit Knoblauch vollstopfen. Prudence Slapweather und ihr Kollege Eric stehen also in vorderster Front, wenn es daraum geht, ausgebüxte Zombies einzufangen, Mumiengötter neu zu bandagieren oder den Geist eines beim Onanieren verstorbenen Trauerklosses zu bannen, damit das Appartment wieder bezugsfertig für die glückliche Familie werden kann.
Prudence selbst ist nur kurz von der neuen Realität überfordert, mit der sie sich als Berufsanfängerin konfrontiert sieht. Soeben einer Wohngemeinschaft mit nervigen Goth-Girls entkommen, erlebt sie nun, dass Monster auch nur so was wie Menschen sind, deren Wehwechen und Problemchen man irgendwie lösen kann, meistens zumindest. Und wenn man dabei in Schwierigkeiten gerät, kann man sich immer noch von Big Foot retten lassen oder den smarten jungen Bullen abschleppen, auf den auch Eric ein Auge geworfen hat. Was nicht heissen soll, dass die Titelheldin ein hilfloses Mädel wäre, im Gegenteil: Pru ist ziemlich taff und damit wie geschaffen für ihren neuen Job, hat sie doch selbst eine Menge Verletzungen und Einsamkeit zu verdauen. Eine grosse Klappe kann da helfen, sich nicht unterkriegen zu lassen.Code Pru ist so ziemlich das Durchgeknallteste, was ich in den letzten Monaten an Comics gelesen habe. Beim Stöbern angesprochen hatten mich zunächst die extrem guten s/w-Zeichnungen von Raulo Cácere und die schräge Grundidee. Doch dass mich ein schieres Feuerwerk abgefahrener Einfälle und unheimlich pointierten schwarzen Humors erwarten würde, dazu glaubwürdige und moderne Figuren mit Tiefgang, hätte ich höchstens ahnen können, wenn mir der Name des Szenaristen Garth Ennis was gesagt hätte. Der schuf nämlich die Comicvorlage zur Amazon-Serie Preacher, die, in ihrer Setzung ähnlich bizarr, mich ausgewiesenen TV-Muffel ziemlich ausdauernd vor der Glotze halten konnte. Seltenheitswert! Ennis erzählt CP episodenhaft, beinahe wie eine Cartoonserie. Handlungsbögen und rote Fäden sind subkutan erkennbar (so gibt es auch einen Typen im Hintergrund, der den Umgang mit den Monstern vom Krankenhauskeller aus koordiniert), aber am Schluss bleiben doch ziemlich viele lose Enden übrig. Was auf eine Fortsetzung hoffen lässt, die aber (auch in USA) leider noch nicht in Sicht ist. Übrigens vereint die deutsche Ausgabe, bei Dantes erschienen, die zwei bisher erschienenen Einzelbände des Originals in einem liebevoll ausgestatteten Hardcover mit ausführlichen Notizen zur Übersetzung, das mit 29 Euro zwar nicht geschenkt, aber jeden Cent wert ist.
Vor einigen Monaten las ich aus der gleichen Reihe The Vast. Das war zwar ebenfalls toll gezeichnet, reicht aber von der Story her nicht annähernd an Code Pru heran.
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