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Montag, 19. Dezember 2022

MX579 - Erimitage

In der Welt von Maddrax neigt sich der aktuelle Weltenriss-Zyklus seinem wohlverdienten Ende zu, und das erste vorab veröffentlichte Cover der kommenden Reihe spoilert es bereits wie die Spatzen von den Dächern: Haaley wird weiterhin dabei sein. Mit dieser Figur hat Ian Rolf Hill einen echten Publikumsliebling geschaffen. Ursprünglich eine Verbeugung vor der ebenfalls völlig unberechenbaren Harley Quinn aus dem DC-Universum, hat sich Choyganmaa Aksinja Jevdokija Ewgenija Iwanowa rasch von ihrem Vorbild emanzipiert, hat neben Tiefenschärfe auch ein üppiges Eigenleben gewonnen und als Handlungsabschnittsgefährtin des Antagonisten Smythe den Zyklus ordentlich mit schrägem Humor, großer Klappe, todesverachtender Action und schmerzhaft offensiver Sexualitiät aufgemischt. Vor allem Letztere ließ erahnen, dass sich hinter diesem enfant terrible eine zutiefst traumatisierte Seele verbirgt. In Wege des Wahnsinns nun nimmt uns ihr Schöpfer mit in eine Vergangenheit, die den Lesenden einige Nervenstärke abverlangt.

Piita, das postapokalytische Sankt Petersburg. Hier lebt Ewgenija mit ihren jüngeren Geschwistern und Vater Aleksej in der Erimitage am Ufer der Newa, dem 18. Jahrhundert von Katharina der Großen begründeten Kunstpalast. Alexej genießt als Retrologe großes Ansehen in der Stadt und nutzt seine Stellung weidlich aus. Die Stadtwache frisst ihm aus der Hand, zahlreiche Frauen beglückt er mit seinem vorgeblich hochwertigem Erbgut. Doch seit Ewgenijas Mutter tot ist, wandelt er sich in einen alkoholkranken Tyrann, der auch vor körperlicher Züchtigung und sexuellem Mißbrauch nicht zurück schreckt. Am meisten leidet die älteste Tochter, ein drangsaliertes, gedemütigtes, eingeschüchtertes Aschenbrödel, das, vom eigenen Vater geschwängert, schließlich Hilfe bei einer Außenstehenden sucht. Doch die Stadt wird von Taratzen, mutierten halbintelligenten Riesenratten, eingenommen. Das Kind ist schließlich auf sich allein gestellt, kann die Geschwister nur aus der Gewalt des Tyrannen befreien, wenn sie selbst zu töten lernt. Für sie, die als kleines Mädchen noch eine liebevolle und umsorgte Kindheit genießen durfte, ein krasser Bruch, der uns eindringlich klarmacht, warum Haaley heute so ist, wie sie ist.Zumindes ein Stück weit.

Und auch die heutige Haaley kommt in einer Parallelhandlung vor, die noch einmal eindrucksvoll ihre handlungsentscheidende Symbiose zu jenem Tachyonen-Organismus unter Beweis stellt, den sie selbst nach ihrer kleinen Schwester benannt hat: Choyganmaa. Queen Choyganmaa, soviel Zeit muss sein. Der Autor setzt nur sparsame humoristische Akzente, und das ist gut so. Die aktuelle Episode ist ein wunderbares Beispiel, wie die Modernisierung des guten alten Groschenromans gelingen kann: Auf nur 64 Seiten verdichten sich empathische Charakterführung, emotionale Hochspannung und fundierte Recherche zu einem Leseabenteuer, das lange nachwirkt.

Ob diesem Origins-Abenteuer ein weiteres folgen wird, das Ewgenijias Lebensweg seit der Flucht aus dem taratzenverseuchen Piita bis nach Tysburk fortschreibt, wo sie erstmalig im Madraxiversum gesichtet ward, ist noch unbekannt – wünschenswert wäre es allemal. Ach was, wünschenswert... eines meiner sehnlichsten Gelüste für das kommende Jahr! Als MX-Fan würde ich einen Jubelschrei ausstoßen und dat Ganze anschließend als Ruury mit nem lecker Pilsken begießen. Denn ich habe mich mit meiner Spekulation, dass die Figur auserzählt sei, gehörig verhoben und muss reumütig konstatieren: Wege des Wahnsinns ist ein, wenn nicht der, absolute Höhepunkt des aktuellen Zyklus'.

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