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Montag, 3. Mai 2021

1. Mai 2021 - Migration, Desolation, Revolution!

So ein Arbeiter/innen-Kampftag im Corona-Lockdown kann eine triste Angelegenheit sein, wenn man ihn nicht mit Radtour bei herrlichem Sommerwetter inklusive Kundgebung, Coverband und labbrig gezapften Pils beim DGB verbringen kann. Für revolutionäres Flair sorgte in meinem Bett, das ich den ganzen Tag kaum verließ, eine Re-Lecture von Büchners Dantons Tod. Das Drama zeigt zwar im wesentlichen, wie die gute Sache dogmatisch in den Despotismus kippt - ein Blick in die Geschichte legt nahe, dass es sich bei diesem Vorgang leider um eine Naturgesetzlichkeit zu handeln scheint - und ist somit nicht wirklich empowering, dafür macht Georg Büchners bilderreiche Sprachgewalt ordentlich was her. Der puritanische Hardliner Robbespierre gegen den sinnesfreudigen, aber mit dem Klassenfeind kollaborierenden Danton - da gibt es keine Seite, auf die ich mich schlagen mag. Labe ich mich lieber an Sätzen wie: Das Nichts hat sich ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde. Wir sind die Blutstropfen, die Welt ist das Grab, worin es fault.

Varfault, wie eine gammelige Apfelkitsche sieht auch die Welt von Lis aus, einer Nomadin, die Frauke Berger in ihrer zweibändigen Graphic Novel GRÜN ein Mittel gegen den Wiederausbruch der pflanzlichen Seuche suchen läßt, die ihren ausgebeuteten, lebensfeindlichen Planeten gänzlich unbewohnbar zu machen droht. Begleitet von einem Mensch-Pflanze-Hybridwesen und unterirdisch lebenden Mädchen mit Raubtiergebiß begegnet sie auf ihrer Reise allerlei werkwürdigen Wesen, die mal verschlagen, mal hilfbereit sind, aber durchgehend einer herrlich verschrobenen Phantasie entsprungen - zum Staunen und Zittern. Ob der Rohrwald, die Bibliothekare oder die gewaltigen vierbeinigen Archen: Eine Dystopie wie diese habe ich noch nie gelesen. Allerdings muß ich zugegebn, dass Frauke Bergers eigensinnige Bildsprache mir vielerorts zu schwer lesbar war, ich den Plot in vielen Panels geradezu mühsam enträtseln musste. So hat es mich wieder und wieder aus der Lektüre rausgehauen, ein Abtauchen und Versinken war nur teilweise möglich. Nicht schlecht, aber auch Arbeit am Tag der Arbeit...

Da mach ich es doch lieber wie Jack Karouacs Figur Ray Smith in The Dharma Bums, das ich in einer etwas altbackenen deutschen Übertragung gelesen habe, bei deren Titel Gammler, Zen und hohe Berge ich nicht so recht wußte, ob ich jetzt lachen oder weinen sollte. Ray jedenfalls ist auf der Suche nach Erleuchtung und macht sich mit dem Buddhisten Japhy Ryder auf den Weg ins Gebirge. Nicht nur dort, auch auf Gartenpartys oder in der Skid Row Friscos, finden der vor Begeisterung über die Wunder der Welt, die kosmischen Zusammenhänge und die neu zu beggreifenden Weisheiten überschäumende junge Mann Zeichen, Erkenntnisse, Lehre und Leere. Und es wird ausgiebig gefaulenzt und getrunken, alles mit spiritueller Legitimation. So sehr Kerouacs poetische Sprache auch zu fesseln vermag: Das ungebrochene naive Abfeiern der neu zu entdeckenden Religion - woke Akademiker*innen könnten auch maulen, das hier sei der Roman einer kulturellen Aneignung, gähn... - hat auf der langen Strecke auch was Enervierendes, weshalb ich die letzten 20 Seiten auch nur noch pflichtschuldig überflog. Auf sich allein gestellt, auf dem Gipfel des tristen Berges Desolation, macht Ray noch eine Menge tolle geistige Entdeckungen wie auf den 150 Seiten zuvor auch schon, bevor er zurück ins urbane Treiben klettert. Für mich wars da auch längst Zeit für ne abendliche Runde um die Häuser.


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