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Dienstag, 16. März 2021

Emma Donoghue - Raum

 

Raum ist nicht mehr nagelneu, aber mir erst jetzt per ebook-Sonderangebot über den Weg gelaufen. Verfilmt wurde das 2010 von der irisch-kanadischen Schriftstellerin Emma Donoghue ebenfalls bereits, auch das ist völlig an mir vorbeigegangen. Während und nach der Lektüre habe ich über das Buch und seine Autorin ein wenig Internet-Recherce betrieben, schlicht aus dem Grund, dass ich geradezu beglückt bin über dieses rasend gute Leseerlebnis. 

Nebenwirkung: Sämtliche Algorithmen bombardieren mich jetzt mit Buchempfehlungen aus der Abteilung Mein tränenreiches Schicksal. Warum diese Marketingstrategie völlig am Thema vorbeigeht, und warum Raum ein so gelungener Roman ist, möchte ich trotz Nichtaktualität doch noch loswerden. 

In literarischer Verarbeitung des Falls Josef Fritzl, hat Old Nick eine 19jährige Studentin entführt und hält sie als Sexsklavin in einem schalldicht umgebauten Schuppen gefangen. Diesen Schuppen nennt Jack schlicht Raum. Jack ist der Junge, der aus der Vergewaltigung hervorgeht, und Mas ganze Stütze in der Unerträglichkeit der Isolation. Donoghue wagt das Kunststück, die Geschichte ausschliesslich aus Jacks Perspektive zu erzählen, der die spärlichen Gegenstände in Raum so personalisiert, dass sie ohne Artikel auskommen. Da sind Teppich und Oberlicht, Zudeck und Mas Schlimmerzahn. Für Jack ist Raum die Welt, und was man in Ferneher sehen kann, findet auf anderen Planeten in Draussen statt - unerreichbar. Auch Jack findet nicht alles toll, was in Raum passiert, aber es ist die Welt, die er kennt. Als ihm, von der verzweifelten Mutter in ein hohes Risiko getrieben, die spannende Flucht gelingt, wird alles anders - und aus Jacks Sicht nicht unbedingt besser. Die Anpassung an Draussen ist für Mutter und Sohn zunächst eine Tortur, wenn auch - und da ist der Roman verblüffend optimistisch - keine hoffnungslose. 

In radikaler Kindersprache und aus Kindersicht, ohne jede Erläuterung, die das Geschehen schnell einzuordnen hilft, schildert Raum das Leben in der Isolation. Hier ist Donoghue so konsequent, aber auch so kunstfertig, dass der Roman Thriller, höchste Sprachkunst und Reflexion über das Menschsein zugleich ist - am allerwenigsten aber ein Schicksalsroman, wenngleich man ihn als solchen lesen kann, so man unbedingt will. Was an Humor entsteht, entsteht im Hirn des staunenden Lesers reichlich, aber eher nebenbei. Nur bei zwei Szenen, in denen Jack Zeuge wird, wie sein Leben und sein Flucht medial verwurstet wird, kippt das Buch kurz ins Satirische und verliert kurz ein wenig an Sogkraft. Da die TV- Intellektuellenrunde, die sich in breitestem akademischen Diskurs über den Fall Jack auslässt und den Kritiker/innen im Feuilleton alles Erwartbare (Platon etc) an Interpretationsmöglichkeiten zum Roman bereits hämisch vorkaut, für sich genommen schon wieder ein echtes Sahneteilchen ist, verzeiht man das gern.

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