Dieses Blog durchsuchen

Montag, 1. Februar 2021

Rostverdammich!

In Amerika war die Broken-Earth-Trilogie von N.K. Jemesin wohl ein ziemlicher Hit, auf dem deutschen Markt verkauft sich diese innovative Fantasy wohl eher so lala. Zumindest behauptet das Natalja Schmidt, die im Droemer/Knaur-Verlag für Phantastik zuständig ist und diesen Leckerbissen fürs hiesige Publikum an Land gezogen hat. Und da nicht nur sie im stets hörenswerten Kapitel_1-Podcast von Zerissene Erde schwärmt, sondern ich auch an anderen Stellen nur Gutes über diesen ersten Teil (im Original: The Fifth Season) gelesen habe, wollte ich mich nun wirklich nicht länger bitten lassen und habe die Geschichte um Essun gelesen, die in einer unheimlich starken Eröffnungsszene ihr totes Kind betrauert, bevor sie sich auf die Suche nach ihrer Tochter macht, die sie quer über jenen Großkontinent führt, den seine Bewohner voller Galgenhumor Die Stille nennen. Still ist Die Stille nämlich keinesfalls. Dauerhafte Beben und Vulkanausbrüche sorgen nicht nur für andauernde kleine Katastrophen, selbst ganze Weltuntergänge finden in regelmäßigen Abständen statt: Verdunkelte Himmel und ewige Winter sorgen für wiederholtes Sterben der Zivilisationen. Nur die stärksten Gemeinschaften können sich dank einers restriktiven Kastenwesens über mehrere Apokalypsen hinweg behaupten, bevor auch sie irgendwann eine Tot-Ziv sein werden. 

Essun ist nicht bloß eine einfache Frau: Ihr Versuch, eine zu sein, ist gescheitert. Sie ist eine Orogene, eine Rogga, wie es abfällig heißt. Sie ist in der Lage, Energie aus ihrer Umgebung zu absorbieren und zu kanalisieren - um Erdbeben zu unterdrücken beispielsweise. Oder aber um zu töten. Obwohl die Orogenen den Stillköpfen mit ihrer magischen Fähigkeit also unschätzbare Dienste in dieser krisengeschüttelten Welt erweisen, sind sie geächtet und gefürchtet. Ein strenger Orden, das Fulcrum, sammelt die Begabten ein und schult sie für ihre dienenden Aufgaben. Doch auch diese Bestimmung fordert gnadenlose Opfer, wie es den Leser*innen in beklemmenden Szenen klarer und klarer wird.  Jemesin schildert ihren ungewöhnlichen und stets stimmigen Weltentwurf auf gut 450 Seiten so anschaulich; sie gebraucht dazu eine so wunderbar direkte und aufgerauhte Sprache, daß es wenig Sinn hätte, sich dem Sog von Zerbrochene Erde entziehen zu wollen. Besonders raffiniert an ihrem erzählerischen Ansatz ist, daß die Gesellschaften der Stille von einem autoritären Pragmatismus durchdrungen ist, der Hannah Ahrends Diktum von der Banalität des Bösen anschaulich in Fantasy überführt und gleichzeitig zeigt, wie die Gesellschaft als Ganzes ohne diesen totalitären Autoritarismus gar nicht lebensfähig wäre. Ihre Heldin ist dennoch eine Dissidentin - eine Dissidentin wider Willen. 

N.K.Jemesin ist eine erfolgreiche Vertreterin schwarzer Fantasy in den USA, die den Blick von der europäisch-mittelalterlich standardisierten Phantastik hin zu neuen Möglichkeiten des Genres weitet. Ohne daß es aufdringlich wäre, fließen auch rassistische und Diskriminierungserfahrungen in ihr Weltenkonstrukt ein und bereichern eine dystopische Story auf gelungene Art um eine gesellschaftlichen Hintergrund, der besonders schmerzhaft dadurch ist, daß ein Durchbrechen der inneren Logik, auf der Die Stille beruht, so aussichtslos erscheint. Und das macht die Lektüre wenn nicht zu einem locker-flockigen, so doch zu einem soghaften und lohnenden Leseerlebnis, auch wenn sich die letzten 50 Seiten etwas in die Länge ziehen. Sobald sich nämlich der entscheidende (und leider etwas vorhersehbare) Kunstgriff enthüllt hat, der alle 3 Handlungsstänge zusammenführt, ist bis zum Finale ein wenig die Luft raus, - und auch der Cliffhanger ist zwar spannend, dennoch für den aufmerksamen Leser keine Riesenüberraschung. Doch das Positive überwiegt, so daß Teil 2 und 3 sicher noch in diesem Jahr auf meinem Bücherstapel landen werden. Offene Fragen zu Steinessern und schwebenden Obelisken gibt es noch mehr als genug, und auch die Story selbst bietet vielversprechende Möglichkeiten. Nur über die trashige Covergestaltung sollten wir diskret den Mantel des Schweigens hüllen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen