Essun ist nicht bloß eine einfache Frau: Ihr Versuch, eine zu sein, ist gescheitert. Sie ist eine Orogene, eine Rogga, wie es abfällig heißt. Sie ist in der Lage, Energie aus ihrer Umgebung zu absorbieren und zu kanalisieren - um Erdbeben zu unterdrücken beispielsweise. Oder aber um zu töten. Obwohl die Orogenen den Stillköpfen mit ihrer magischen Fähigkeit also unschätzbare Dienste in dieser krisengeschüttelten Welt erweisen, sind sie geächtet und gefürchtet. Ein strenger Orden, das Fulcrum, sammelt die Begabten ein und schult sie für ihre dienenden Aufgaben. Doch auch diese Bestimmung fordert gnadenlose Opfer, wie es den Leser*innen in beklemmenden Szenen klarer und klarer wird. Jemesin schildert ihren ungewöhnlichen und stets stimmigen Weltentwurf auf gut 450 Seiten so anschaulich; sie gebraucht dazu eine so wunderbar direkte und aufgerauhte Sprache, daß es wenig Sinn hätte, sich dem Sog von Zerbrochene Erde entziehen zu wollen. Besonders raffiniert an ihrem erzählerischen Ansatz ist, daß die Gesellschaften der Stille von einem autoritären Pragmatismus durchdrungen ist, der Hannah Ahrends Diktum von der Banalität des Bösen anschaulich in Fantasy überführt und gleichzeitig zeigt, wie die Gesellschaft als Ganzes ohne diesen totalitären Autoritarismus gar nicht lebensfähig wäre. Ihre Heldin ist dennoch eine Dissidentin - eine Dissidentin wider Willen.
N.K.Jemesin ist eine erfolgreiche Vertreterin schwarzer Fantasy in den USA, die den Blick von der europäisch-mittelalterlich standardisierten Phantastik hin zu neuen Möglichkeiten des Genres weitet. Ohne daß es aufdringlich wäre, fließen auch rassistische und Diskriminierungserfahrungen in ihr Weltenkonstrukt ein und bereichern eine dystopische Story auf gelungene Art um eine gesellschaftlichen Hintergrund, der besonders schmerzhaft dadurch ist, daß ein Durchbrechen der inneren Logik, auf der Die Stille beruht, so aussichtslos erscheint. Und das macht die Lektüre wenn nicht zu einem locker-flockigen, so doch zu einem soghaften und lohnenden Leseerlebnis, auch wenn sich die letzten 50 Seiten etwas in die Länge ziehen. Sobald sich nämlich der entscheidende (und leider etwas vorhersehbare) Kunstgriff enthüllt hat, der alle 3 Handlungsstänge zusammenführt, ist bis zum Finale ein wenig die Luft raus, - und auch der Cliffhanger ist zwar spannend, dennoch für den aufmerksamen Leser keine Riesenüberraschung. Doch das Positive überwiegt, so daß Teil 2 und 3 sicher noch in diesem Jahr auf meinem Bücherstapel landen werden. Offene Fragen zu Steinessern und schwebenden Obelisken gibt es noch mehr als genug, und auch die Story selbst bietet vielversprechende Möglichkeiten. Nur über die trashige Covergestaltung sollten wir diskret den Mantel des Schweigens hüllen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen