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Mittwoch, 23. Dezember 2020

George R.R. Martins ernüchternd geiler Roadtrip

George R.R. Martin war mir bereits vor der Verfilmung seiner bis heute unvollendeten Lied-von-Eis-und-Feuer-Megasaga ein Begriff. Allerdings nicht weil ich selbst die Geduld aufgebracht hätte, mich in diesen Fantasy-Epos zu vertiefen, sondern weil seinerzeit ein enthusiastischer Freund nicht aufhören konnte, wieder und wieder seine Begeisterung über das Werk kundzutun. Nun also, mit deutlicher Verspätung, habe ich im Antiquariat meines Vertrauens meinen ersten G.R.R.M. aus dem Regal gefischt - ein Frühwerk, in den USA unter dem Titel Armageddon Rag veröffentlicht, als ich zarte 9 war und in meinem Kinderzimmer zu 99 Luftballons, Bruttosozialprodukt und Major Tom das Tanzbein schwang. Um solche Musik geht es in Armageddon Rock, so der aus Marketingkalkül vergebene deutsche Titel, aber nicht, Martin bohrt ein dickeres Brett. 

In den frühen 80ern bekommt ein Ex-Musikjournalist den Auftrag, den bizarren Tod eines führenden Rockproduzenten zu ergründen. Dem wurde in einer Art schwarzmagischem Ritual das Herz entnommen, und zwar auf eine Konzertankündigung seiner legendärsten Kapelle gebettet, der Nazgul. Jenes Konzerts, in dem der Sänger per Kopfschuß durch einen unbekannten Scharfschützen getötet wurde. Sandy, so der Name des Protagonisten, steckt seinerseits in einer ersthaften Schreib- und Midlifekrise. Seine Ermittlungen geraten zum intensiven Roadtrip in die eigene Vergangenheit, auf dem er einstigen Weggefährten und Bandmitgliedern begegnet, durch die der Autor uns prototypisch (und doch angenehm klischeefrei!) Karrieristen, Gescheiterte, Steckengebliebene, Wahnsinnige und sich doch irgendwie Treugebliebene vorführt. So sind sie inzwischen, will er sagen, die Dropouts, die Rebellen und die Blumenkinder - wobei inzwischen 1983 meint, und das ist, wenn ich jetzt das Buch zuklappe und überlege, wem ich es wohl weiterverschenken könnte, ja auch schon 37 Jahre her. Doch all das ändert nichts daran, daß allen Menschen, die sich für jene Zeit und für den Spirit ihrer Musik interessieren, dieser Roman eine lohnenswerte Lektüre sein dürfte. Mögen die Nazgul und ihr Kultstatus neben Hendrix, Janis und den anderen auch rein fiktiv sein und überhaupt die zahlreichen Tolkien-Bezüge etwas bemüht wirken, ist G.R.R.M. doch eine atmosphärisch dichte, sehr anschauliche und aufrichtige, schillernd ausdifferenzierte, warmherzige und kluge Verbeugung vor der Hippie-Ära gelungen. 

Der Versuch aber, diesen Geist erneut heraufzubeschwören, kann nur in einer Katastrophe enden. Womit ich auf die zweite Komponente des Romans zu sprechen komme, die deutlich Geschmackssache ist. Denn eine solche Beschwörung soll tatsächlich stattfinden, und die finsteren und verführerischen Kräfte dahinter legen ihre Fallstricke in den Weg all jener, mit denen Sandy es im Laufe der Geschichte zu tun bekommt. Auch hier zeigt sich die große Könnerschaft des legendären Langsamschreibers, die Erzählung hat Wucht und Sog - wirklich nötig wäre der Mystizismus allerdings nicht gewesen, ein einfacher Thriller hätte als Vehikel für das Thema des Buches gereicht. Und warum Heyne das Ding damals als Science Fiction vermaktet hat, wir mir wohl auf ewig ein Rätsel bleiben - Horror/Mystery trifft als Genrebezeichnung schon eher zu, und auch das nur mit etwas Wohlwollen. Armageddon Rag  ist nicht mehr und nicht weniger als eine sehr gute Geschichte über die Ära des frühen Rock und den Zahn der Zeit, die im Zuge des Erfolgs von GOT wohl auch eine Neuauflage erfuhr. Fans der 60/70er ist die Lektüre sicher ein Gewinn, sofern sie angesichts des verfuzzelten Endes ein Auge zudrücken wollen - wer dieser Zeit nichts abgewinnen kann, wird wohl mit diesem Buch nicht so recht glücklich werden.

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