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Donnerstag, 22. Oktober 2020

WIR ist ein anderer - launiges Poplästern mit Frank Apunkt Schneider


Der testcard-Magazinbeitrag von Frank Apunkt Schneider erschien in erweiterter Form 2017 als Buch und hält, was Coverillustration und Titel versprechen: Zuvörderst ein launiges Lästerstündchen über Deutschpop damals und heute, wobei vor allem die Musik ihr Fett wegkrieg, die gegenwärtig im Allgemeinen als Indie-Pop gelabelt in die Streaming-Portale suppt - Thees Ullmann trifft es am härtesten, aber auch Sportfreunde Stiller, Jupiter Jones, Kraftklub, Jennifer Rostock und Co machen - so der Autor - im Grunde nichts anderes als Frei.Wild auch, nur daß sie im Gegensatz zu den Tiroler Heimathonks "ungefähr die richtige Meinung haben." Identitätspop halt. Bestenfalls dämlich, schlimmstenfalls Nationalismuskacke.

All das wäre letztlich zwar unterhaltsam, aber auch ziemlich belanglos. Doch Schneider haut dem Leser obendrein mehr Geschichtsunterricht und Poptheorie um die Ohren, als eigentlich auf 100 Seiten passen. Deutschpop halt's Maul! ist also eine prima Druckbetankung in Sachen Bildung. So wußte ich bisher nicht, daß es schon im Dritten Reich Hitler-Merchandise gab. Brote und Geschirrtücher zum Beispiel. Gern gesehen war das von der Gestapo aber nicht, doch wer sich heute fragt, was denn originär deutsche Popkultur sein könnte, findet hier einen Anfang. 

Was ist Pop, und was ist deutscher Pop? Über den Schlager und die Eindeutschung internationaler Beat-Erfolge mit teils incredibly strangen Ergebnissen, NDW bis zu der Frage ob Krautrock nun ein explizit deutsches Phänomen - oder eben diese Lesart nachträgliche Identitätsklitterung ist, ist Schneiders Ton bissig und sehr, sehr lustig. Dabei haut er gern eine Provokation nach der anderen raus, auch in Richtung der eigenen Bubble. So gilt SLIME als nicht weniger teutonisch denn Heinz Rudolf Kunze und die vielbeklagte Entfremdung letztlich als ein Glücksfall. 

Einiges findet dabei meine Zustimmung, anderes nicht. Daß ausgerechnet Tocotronic und die frühere Hamburger Schule seiner Meßlatte an antideutscher Verkrampfung genügen, zeigt mir, daß mich und Herrn Schneider Welten trennen. Sein absichtliches Übersehen der doch beinahe tocotronicschen Ironie in Kunzes großem Song Madagaskar nervt dann schon ein bißchen. EinigkeitRechtUndFreiheit erreichen wir dann immerhin mit verachtendem Blick auf den entkrampften Wir-Gefühl-Indiepop unserer Tage. Und ich muß nicht ganz neidlos feststellen: Wer so geil schreiben kann, braucht keinen Konsens mehr. 

Absolut empfehlenswert!

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