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Freitag, 19. Juni 2020

Strangers in Paradise Bd 1


Strangers in Paradise machte den US-amerikanischen Comiczeichner Terry Moore einem breiten Publikum bekannt. Der deutsche Band 1 von 2013 vereint, wenn ich das richtig verstanden habe, die Volumes 1 & 2, die aus zunächst drei, dann 14 Heften bestanden und im Original von 1994 bis 1996 erschienen. Und wenn ich an die Adresse des Verlages Schreiber&Leser eines zu meckern habe, dann daß ich mich über eine kleine editorische Notiz gefreute hätte, um mir diese spärlichen Infos nicht selbst zusammensuchen zu müssen.
Ich bin schon mehr als einmal im Comicladen an SiP vorbeigelaufen, ohne daß die Reihe meine besondere Aufmerksamkeit erregt hätte. Jetzt hatte ich aber plötzlich Bock drauf. Rund 17 Euro sind für 344 schwarz-weiße Seiten ein okayer Preis, und große amerikanische Seifenoper im späten 20. Jahrhundert las sich auf dem Buchrücken irgendwie verlockend, vielleicht weil mir ein bißchen nach 90ern war. Nostalgisch gestimmt, erwartete ich ein Look-and-Feel á la Dawsons Creek oder Clerks - Die Ladenhüter, und allzu weit entfernt von dieser Erwartungshaltung war das Leseerlebnis dann tatsächlich nicht, und doch auch ganz anders. SiP ist zunächst einmal eine Dramedy-Romanze mit Krimi-Einsprengseln und transportiert mit der mal unbekümmerten, mal gefühlswallenden Selbstbezogenheit seiner Protagonistinnen, unförmigen Telefonen und seitenfüllenden Lovesongs tatsächlich ein authetisches 90er-Feeling. Francine und Katchoo waren Freundinnen seit ihrer Highschoolzeit und leben seit neustem wieder in einer WG in irgendeiner ungenannten Stadt zusammen. Die eine ist hübsch, naiv aber nicht dumm, eher Mauerblümchen als Rampensau und neigt zur Pummeligkeit, die andere ist taff, künstlerisch begabt, großmäulig und knabbert an ein paar Geheimnissen aus den Jahren, in denen sie ihre Freundin aus den Augen verloren hatte: Ihr Job als Callgirl, Verbindungen ins Mafia-Milieu, der frühe Tod einer großen Liebe. Das sind durchaus Frauenfiguren, wie Mann sie sich erdenken mag, doch Terry Moore vermeidet Eindimensionalität in der Charakterzeichnung und trotz freizügiger Handlung den comictypischen, leicht sexistischen Blick (der in einer Szene mit einem Leser von Bad Girls Comix - Skidmark vs The  Venus Butterfly herrlich parodiert wird). Wenn Wikipedia die Wahrheit sagt, hat das auch viele weibliche Fans zur Folge. Wirklich explizit wird es in den erotischen Szenen aber eh so gut wie nie, es bleibt amerikanisch-keusch.
   Zum Hauptpersonal gehören noch der verliebte David, das Arschloch Freddy (toll, wie man sich vor den schmierigen Nachstellungen dieses charakterlosen Kretins ekeln kann!), die kühle Darcy Parker und der Cop mit dem Schnurrbart, dessen Name mir grad nicht einfallen mag. Über die insgesamt 17 Hefte spinnt sich eine Handlung, der ich als Leser durchaus anmerken konnte, daß sie sich beim Schreiben entwickelt hat, ein wasserdichtes Exposee lag ihr wohl nicht zugrunde. Es ist anfangs eine gewisse Unausgewogenheit, die SiP so sympathisch zu lesen macht: Mal kommt eine Szene eher witzig-cartoonig rüber, eine Seite später ist der Zeichenstil ernst und erwachsen, gelegentlich bekommt ein kleiner Gag deutliches zuviel Fokus. Man kann Terry Moore dabei zuschauen, wie er im Laufe der Ausgaben zeichnerische und erzählerische Souveränität gewinnt und einen typischen Stil erst entwickelt. Dabei spielt er immer selbstbewußter mit Versatzstücken aus anderen Genres: Illustrierte Kurzgeschichten, ganzseitige Gedichte... Die Krimihandlung wird immer plausibler, die Gefühle tiefer. Und die Beziehung zwischen Katchoo und Francine, die zwar nicht lesbisch sind, aber sich doch so sehr lieben, wird ergreifend. Kitschig hingegen wird es nur selten, und in solchen Fällen finde ich: Die große amerianische Seifenoper des späten zwanzigsten Jahrhunderts kann sich das auch erlauben. Und da Seifenopern immer auch einen gewissen Suchtfaktor haben, werde ich sicher erfahren, wie es weitergeht.

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