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Donnerstag, 18. Juni 2020

Explosionen des Lebens - Kruschels Universum nach Landau



Landau, jener Wissenschaftler, der zur Zeit der grünen Apokalypse auf der Erde den Modulator erfand, der interstellares Reisen erst möglich machte, begründete eine neue Zeitrechnung. Das Universum, das der Mensch dann besiedelte, das Universum nach Landau also ist eines nicht: öde. Überall zischt und gurgelt, blubbert und brodelt das Leben, wuselt, wartet, pflanzt sich fort. Auch die unwirtlichsten Planeten sind nicht bloß Gesteinsbrocken. Biologisches ist überall, auch wenn man sie nicht auf den ersten Blick erkennen mag. Karsten Kruschel ist zwar nicht der erste Science-Fiction-Autor, dessen Werk von dieser Hypothese durchwirkt ist, aber in meiner persönlichen Lesebiographie gebührt im jetzt schon ein Spitzenplatz. Dabei ist der Roman in Dokumenten und Novellen erst das zweite Werk des Autors, das ich lese. Vilm - die Eingeborenen, ebenfalls ein aus Kurzgeschichten zusammengetzter Roman, habe ich vor gut einem halben Jahr gelesen und fand es dermaßen gut, daß mir erst gar nicht aufgefallen ist, daß es sich um einen zweiten Teil handelt. Und Das kleinere Universum, das noch zu DDR-Zeiten erschien, habe ich mir bereits antiquarisch besorgt. Darüberhinaus warten noch zwei Bände Vilm und der Roman Galdäa auf mich. Sämtliche von Kruschel erzählte Geschichten sind Teil dieses einen Universums, Querverweise auf andere Welten und Figuren des Autors finden sich zahlreich. Das Universum nach Landau  spannt dabei seinen Bogen über viele Jahrtausende, beginnend beim Exodus vom Planeten Erde bis hin zu einem schwarzen Vorhang, der sich über die Welt, wie wir sie grad erst kennengelernt haben, legt. Karsten Kruschels erzählerische Kunst besteht darin, diese Hintergründe und Zusammenhänge, seine Welterfindung, gleichzeitig bloß federleicht anzudeuten und dennoch plastisch und klar erscheinen zu lassen. Das macht sämtliche Stories gut und flüssig lesbar, niemals fühlte ich mich abgehängt. Dennoch ist die sprachliche Qualität enorm hoch, sein Stil ist sicher, aber experimentierfreudig, und an keiner Stelle im Buch mußte ich eine abgedroschene Phrase, ausgelutschte Metapher, mißglückte Formulierung lesen. Stattdessen warteten auf jeder Seite sprachliche und plotmäßige Überrraschungen auf mich.
   Die nach unterschiedlichen Farben benannten Geschichten sind für sich genommen bereits eine Wucht: Schon das ziemlich witzige Grün, daß eine Emmerichsche Endzeitvision auf einen Provinzkrimi herunterbricht, macht klar, daß die Reise uns in ziemlich originelle Entwürfe von fremden Planeten und außerirdischem Leben führen wird. Im Hintergrund erfahren wir dann von der Erforschung und Besiedlung des Weltraums durch private Unternehmen, von Kriegen um Patentrechte auf DNA-Ketten und Unabhängigkeit, vom Aufstieg und Fall ganzer Familienimperien, vom Erfinden und Entdecken neuer Technologie und dem vollständigen Vergessenwerden des Ursprungsplaneten - bis wir am Schluß noch Bekanntschaft mit einen neuen Ursprungsplaneten schließen. Doch im Vordergrund stehen immer persönliche Perspektiven; die Neugier, der Anpassungswille, der Forscherdrang einzelner Figuren. Carmencita zum Beispiel, die erfährt, was ein Kriegsheld ist. Lazlo, der auf dem Großlebewesen/Planeten Violet seine Jo sucht. Die Outlaws auf Orange. Blanche auf dem Eisplaneten, die sich staunend und wollüstig ihrer Umgebung anpaßt. Und meine Lieblingsstory, das Alien mit den wechselnden Namen auf dem Planeten Gelb-wie-Zwiebelgras, das viel, sehr viel Zeit hat, die Menschen kennenzulernen.... Das Gesamtbild runden unterschiedlichste Dokumente ab: Lexikoneinträge, Rezensionen, ein bizarres Kochrezept aus Erdentagen. Zurück bleibt ein rundum glücklicher Leser, der ab sofort allen, mit denen er über Science Fiction spricht, dieses Buch ans Herz legen wird.



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