Dieses Blog durchsuchen

Dienstag, 12. Mai 2020

King, lang ist's her.

Klar, er ist der berühmteste Horror-Autor der Welt. Mein erstes Buch von ihm war Cujo, da war ich vielleicht 12. Es folgten der Friedhof der Kuscheltiere, Shining, ES. Ich war verliebt in Carrie, begeistert von Misery. Die Kurzgeschichten waren Talk Of Schulhof - zum Beispiel die, wo der Überlebenstyp auf dem einsamen Felsen seine Finger ißt. "Sie schmeckten wie Löffelbisquits." Besser kann man die frühpubertierende Gier auf Bizarres kaum bedienen. Dann kam die Novelle "Stand By Me" und die grandiose Verfilmung, den ich bis heute heiß und innig liebe.

Andere Autoren erregten meine Aufmerksamkeit, um meine Liebe zum Meister wurde es still. Klar, mal hier und da wieder was gelesen, gerne während längerer Zugfahrten. Atlantis zum Beispiel. Insomnia mochte ich auch, so ungefähr bis zur Hälfte. Aber irgendwie wollte sich nicht mehr die gleiche Begeisterung einstellen. Und das ist ja mittlerweile auch gut 10 Jahre her. Zahlreiche Neuerscheinungen habe ich auf den Stapeltischen der Buchhandlungen liegen sehen, ab und zu mal nen Klappentext studiert und das Ding wieder achselzuckend beiseitegelegt. Und jetzt, in so einem Umsonstregal, stoße ich auf ein unsagbar häßlich gestaltetes Softcover von Weltbild, Lizenzausgabe. Sieht intensiv und mehrfach gelesen aus. "Der Buick", erstmals erschienen 2002. Irgendwie hab ich Bock drauf und pack das Buch in meinen Rucksack. Gute Entscheidung! Wegen Corona hab ich die Ruhe weg und kann gut verknusen, daß auf den ersten 100 Seiten erstmal wenig Bemerkenswertes passiert. Ich werde in eine Rahmenhandlung um einen Polizeischüler in spe eingeführt, dessen Vater, selbst Bulle, es einst bei einem tragischen Unfall dahingerafft hat. Ich lerne die üblichen skurrilen Figuren des typisch King'schen American Kleinstadtmilieus kennen, die in der Sonne Eistee trinken, Scherze machen und ein gutes Herz haben. Und erzählen. Was sie allerdings erzählen, hat es in sich.

Im Schuppen B steht ein Buick aus den 50ern. Kein normaler Oldtimer, mit dem Auto stimmt was nicht. Plötzlich steht er an der örtlichen Tankstelle, der Besitzer ist auf geheimnisvolle Weise verschwunden. Einen funktionsfähigen Motor hat er nicht; und er ist unkaputtbar. Nicht einmal Schmutz nimmt er an, sieht immer aus wie aus dem Ei gepellt. Eine merkwürdige Aura umgibt das Gefährt, als wäre es etwas Lebendiges. Dann verschwindet einer der Cops spurlos. Als hätte das Auto ihn gefressen.

Nun entblättert King in der gleichen Seelenruhe wie sein eisteetrinkendes Personal an einem heißen Sommertag, in einem recht gelungenen Reigen wechselnder Ich-Erzähler die Geschichte dieses merkwürdigen Autos, daß halb Lebewesen, halb Tor in eine andere Dimension zu sein scheint. "Eine Atemmaske," wie es einmal heißt - durch die eine bizarre Welt ein- und in unserer Normalität wieder ausatmen kann. Und "wie ein Popel" können beim Atmen auch mal Lebewesen aus der einen in die andere Welt übergehen. Das baut sich langsam auf und gerät im letzten Drittel des 500-Seiten-Romans so spannend, aufregend, bewegend, wie ich lange keinen Spannungsroman mehr wahrgenommen habe - man denkt, als erfahrener Leser im Grunde alles zu kennen und erfreut sich nun an gelungenen Variationen der bekannten Themen. Ich werde die Szene lange nicht vergessen, in der sich die Polizisten mit einem "Menschen" (zumindest denkendem Wesen) der anderen Seite gegenübersehen und nur eines denken können: Gewalt. Angst. Totschlagen. Auch das spätere Reflektieren der Beteiligtenen über das Geschehene ist eindrucksvoll.

Ein lakonisches, trauriges, spannendes, originell erzähltes Buch über das Thema Zerstörung, Selbstzerstörung und die Zeit, die manche Wunden heilen kann, aber nicht alle. Keine Ahnung, wie dieser Roman im King-Fandom so ankommt - ich jedenfalls bin begeistert. Vielleicht sollte ich ja mal was Aktuelleres vom Meister lesen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen