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Dienstag, 15. September 2020

Erlösungsphantasien, Schreckensszenarien und ein emanzipatorischer Blick

 

Lange Zeit bin ich immer mal wieder über den Begriff des Tanshumanistismus gestolpert, ohne so richtig zu wissen, was diese vom silicon valley geprägte Vokabel eigentlich bedeuten soll. Und da mich -sträflich sträflich, ich weiß - das  silicon valley und seine visionären Schnickschnack-Angebote an meinen Alltag, seine Big Data-Phantasien und selbstfahrenden Autos ohnehin nicht sonderlich interessieren, hab ich auch nicht weiter nachgegraben. Beim Podcast-Hören stieß ich dann auf eine Folge Philosophisches Radio, in der ein bis unter die Schädeldecke euphorisierter Lorenz Sorgner die Vision eines vollcomputerisierten goldenen Zeitalters entwarf, in dem der Mensch sich durch eine straff optimierte (krankheitsresistent, superintelligent etc) Ausgabe seiner selbst ersetzt hat. Daß Sorgner sich vielfach auf Nietzsche bezieht, überrascht da kaum, schließlich müssen für einen solchen Weltentwurf voller eugenischer und menschenverachtender Phantasien zahlreiche moralische Hemmschuhe ausgezogen und über Bord geworfen werden, da hilft Mr. Übermensch sicher gern. 

Doch was dem entgegen halten? Man mag ja nicht bloß als naiver Barfuß-Gänseblümchen-Maschinenstürmer dastehen, der die Zeichen der Zeit nicht erkennt und dessen Skepsis gegenüber den Möglichkeiten, die eine weltumspannende K.I. und die Verbesserung des humanen Genoms der Menscheit bietet, ohnehin scheitern wird. Gerade Verweise auf medizinische Fortschritte sind in Diskussionen mit IT-Positivist*innen ja immer wieder gern genommene Argumente. Und ja, unsere Leben werden einfacher, vernetzter, besser... - vielleicht gelingt mit der Überwindung des Homo sapiens ja auch die Überwindung des Hungers, des Krieges, der Unterdrückung, des Todes. 

Max Franz Johann Schnetker, Biologe, Philosoph und Anarchist, hat in seiner Schrift sowohl die positivistischen als auch die apokalyptischen Narrative (Knechtschaft des Menschen unter einer überlegenen K.I.) der transhumanistischen Weltsicht analysiert. Beiden Denkungsarten attestiert er in letzter Konsequenz eine Verwurzelung in einer rechten (d.h. autoritären, d.h. protestantisch-marktradikalen) Ideologie. Diese Analyse ist letztlich Inhalt des 130 Seiten umfassenden Bandes, das vergangenes Jahr im Unrast-Verlag erschienen ist. Der Schwerpunkt liegt hierbei deutlich auf der künstlichen Intelligenz, wohl auch deshalb spielt der oben erwähnte L. Sorgner keine Rolle, zahlreiche Vordenker aus dem Umfeld der Tech-Giganten (z.B. Lawrence, Bostrom, Yudkowski) aber sehr wohl. Schnetkers Betrachtungen sind ausfühlich und flächendendeckend, mitunter lesen sie sich etwas akademisch. Doch "Transhumanistische Mythologie" will keine auch Streitschrift sein, sondern sachlich und fundiert aufdröseln, wie sehr die freundlichen und smarten, immer auch sehr diversen und das Weltwissen teilenden, Tech-Giganten im Kern einem rechtem Denken verpflichtet sind, das auch ihre heutigen Tätigkeiten und Zielsetzungen bestimmt. Das Google, Apple, Facebook und Co. das kapitalistische Wirtschaften nicht infrage stellen, ist ohnehin klar - doch ob die Menschheit letztlich den Kapitalismus überleben und überhaupt in den zweifelhaften Genuß jenes noch weit in der technologische Zukunft zu verortenden Philosophenkönigs namens Singleton ( = K.I. Supernanny) kommen wird, das ist die Frage, die am Ende der Lektüre stehenbleibt. Ein naiver Maschinenstürmer ist Schnetker hingegen sicher nicht, und eine Handlungsanweisung gibt er ebenfalls keine, außer der, daß wir dringend die Entwicklung im Blick behalten und stetig hinterfragen müssen. Um das tun zu können, ist sein Buch ein großer Gewinn. 

Hilfreiches für den widerständigen Alltag findet man hingegen eher bei capulco (https://capulcu.blackblogs.org/) oder digitalcourage.org

Hier ein interessantes Interview mit dem Autor im Future Histories Podcast: https://www.youtube.com/watch?v=_INC43BIg7g

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