Dieses Blog durchsuchen

Sonntag, 6. Februar 2022

Punks Not Dead, Väterchen Lichtwolf!


AKTUALISIERT! (6. Februar 2022)

Dochdoch, das Bild von Seite 72 im aktuellen Lichtwolf – Zeitschrift trotz Philosophie kenne ich so ähnlich auch: Eine beeindruckende Reihe Thomas Pynchon im Regal. Meine ist aber im Zuge der letzten Großen Ausmistung deutlich geschrumpft. Die gelesen-und-für-gut-befundenen Romane Versteigerung von Nr 5 und Vineland hat es ebenso ins örtliche 2nd-Hand-Regal getrieben wie ihre Geschwister, die mich als kaum- oder gar ungelesene Mahnmale bei jedem Staubwischen (eher selten) an meine mangelnde Lesedisziplin erinnerten. Hinfort damit! Geblieben sind mir Bleeding Edge und Die Enden der Parabel, die ich je bis zur Hälfte geschafft habe und auch irgendwie mochte. Mußestunden des Ruhestands, der Arbeitslosigkeit oder irgendwelcher Reha-Maßnahmen werden mit zunehmendem Alter sicher auf mich zukommen, dann hab ich ausreichend Zeit für die beiden dicken Kerlchen. Bis dahin erfreue ich mich lieber an den Zusammenfassungen des Pynchon-Kenners Bdolf, der dessen Oeuvre als Kanon des Unfugs im Heft unterbringen konnte. Thema der Ausgabe: Fug. Ein altmodisches Wort, ein komischer Titel, ließ mich erstmal stutzen, und ich denke, das ist von den Macher/innen meines neuen Lieblingsfanzines auch so beabsichtigt gewesen. Fug, das ist ein nahezu vergessenes Wort, das uns in seiner Negation „Unfug“ noch vertraut ist. Genauere Definitionen, etymologische Nachweise und Spurensuche in der Literatur gibt es im Propädeutikum und Michael Helmigs launigem Beitrag „Greise Worte“ denn auch zuhauf, ehe es mit Thimoteus Schneideggers Essay „Die Ahnung des Fugs“ intellektuell herausfordend wird, trotz auflockernder Rorschach-Illustrationen (Grillhähnchen und Frosch). Späte Rache, daß ich die akademische Philosophie nach wenigen Semestern geschmissen habe, weil zu logikintensiv für den verspielten Geist. Doch es geht in dem Artikel auch und zuvörderst um Ahnungen und Ahndungen, da wird der Romantik-Fan in mir veritabel bedient und versöhnt. Sogar mein schiefgewachnsner BFOM E.T.A. Hoffmann kriegt etwas Screentime, da macht es doch Spaß, die Rübe rauchen zu lassen beim Versuch, das Ding zu kapieren.

Leichter machen es mir da Katharina Körting mit „Mehrheitsfähig reaktionär“, einer auf jeder Party zitierfähigen Betrachtung über Kitsch & Kunst & Fernsehfilm, sowie eine Vielzahl Rubriken und kleinerer Artikel. Immer gern lese ich „Fremde Heere Rechts“, eine Presseschau über die Neue Rechte, diesmal um staunenswerte journalistische Ausfälle aus linken und mittleren Hirnen ergänzt. Ein schönes dickes Ding also, diese Ausgabe, und als Independent-Zine eine glückliche Entdeckung an sich, die ich auch gern ein paar Jahre früher gehabt hätte.

Was Indie-Presse betrifft: Marc Hieronimus stellt den „Ungefügten“ Fritz Eric Hoevel vor, dessen Magazin „Ketzerbriefe“ mir auch schonmal begegnet ist. Und bei aller Sympathie für Ketzerei hatte ich seinerzeit auf den zweiten Blick den Herzkasper gekriegt: Ist das etwa Fascho-Verschwörungs-Libertarian-Shit? Wo ist bloß die Schublade, in die ich das stecken soll? Und will ich sowas wirklich lesen? Schön, dass mir „Die Falle des verbotenen Kapierens“ da bei der Meinungsbildung hilft. Und zwischen Kritik und Respekt ausreichend Raum läßt, die Denke eines wirklich unangepaßten Geistes, Marxisten und Psychoanalytikers ohne Vorurteile kennen zu lernen. Berufsbedingt werde ich ja neuerdings zwangs-woke resozialisiert (Seminare, Diskurse, U30-Kolleg*innen). Wo ich es mir gerade in meiner bärtigen Alt-Linken-Flaschenbierkneipe „Zum Wagenknecht“ so schön bequem gemacht hatte! Vor diesem Hintergrund klingeln aber im Hoevel-Interview alle Alarmglocken: "Strukturell antisemitische Verschwörungsnarrative"! "Islamophobie"? Sogar das "N-Wort"! Doch klingeln sie vielleicht zu Unrecht, zu hysterisch, zu vernagelt? Was ist Kritik, was Ressentiment? Hoevel macht jedenfalls keine Gefangenen, schert sich in seinen polemischen Einlassungen um nix und trifft gelegentlich ins Schwarze. - Also nehme ich aus der Lektüre Folgendes mit: Die neuen Schubladen hab ich recht schnell dazugelernt. Und obwohl spannend, ganz koscher ist der Typ nicht.

Mein zweiter Höhepunkt der Ausgabe ist Ewgeniys Kasakows „Fugen der Zeit“ über den postsowjetischen Punk Boris Usow und sein Magazin „Swajas Wremen“. Eine spannende Künstlerpersönlichkeit in einer spannen Umbruchzeit. Tolle Texte und Zitate, umfassend recherchiert und vorgestellt. Ein wahnsinnig inspirierender Essay, den ich nach Abschluss meiner Lektüre noch ein zweites Mal lesen mußte, bevor ich dann nach Monaten mal wieder die Gitarre umgeschnallen und losdreschen mußte. Punk not dead, Väterchen Wombat! Eine aktivierende Ausgabe. Fug ya all!

----

nachtrag: textpassagen aus "fugen der zeit" fanden mit freundlicher genehmigung des autors verwendung in einem video, das teil der performance "nena und der wolf" am 13.11.2021 war. eine kollaboration mit dem moerser künstler andreas baschek zur kräftigung der allgemeinen ambiguitätstoleranz. andreas baschek auf insta: https://www.instagram.com/p/CV4zloIDznR/

 https://youtu.be/I5SczcQPY9M 



 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen